Massive Investitionen in die Schiene sind gerechtfertigt

Parlamentsgruppe Schienenverkehr im Deutschen Bundestag

V. l. Wiehle MdB, Dr. van Hoorn (DVF-Geschäftsführerin), Ferlemann MdB, Özdemir MdB, Euler, Dr. Nikutta, Krenz, Fockenbrock (Moderator Handelsblatt)
V. l. Wiehle MdB, Dr. van Hoorn (DVF-Geschäftsführerin), Ferlemann MdB, Özdemir MdB, Euler, Dr. Nikutta, Krenz, Fockenbrock (Moderator Handelsblatt)

Berlin, 22. November 2018 – Beim Parlamentarischen Abend der Parlamentsgruppe Schienenverkehr im Deutschen Bundestag (PG Schiene) waren sich die Entscheidungsträger aus Politik, Industrie und Verkehrsdienstleistern darin einig, dass massive Investitionen in das Schienennetz und -fahrzeuge gerechtfertigt sind, um zukünftig sowohl das Verkehrsaufkommen bewältigen als auch die Klimaziele erreichen zu können.

Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) lud für die PG Schiene hochrangige Vertreter des Verkehrsausschusses, des Bundesverkehrsministeriums, der Deutschen Bahn und der Industrie ein, um über Chancen, Nutzen und Kosten der Digitalisierung der Eisenbahn in Deutschland zu sprechen. Dabei sagte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses und Vorsitzende der PG Schiene Cem Özdemir MdB, dass die Eisenbahn das Potenzial habe, zum modernsten Verkehrsträger zu werden. Es sei das gemeinsame Ziel aller Abgeordneten, die Schiene auszubauen: „Um die Eisenbahn als Herzstück vernetzter und moderner Mobilität zu etablieren, ist es erforderlich, auch die digitalen Innovationen auf der Schiene voranzutreiben. Voraussetzung dafür ist eine gleichberechtigte Behandlung der Verkehrsträger seitens der Politik auch in Sachen Digitalisierung: Genauso wie für das Fernstraßennetz muss die Versorgung mit schnellem Mobilfunk künftig auch für das Schienennetz gewährleistet werden."

Die Digitalisierung werde laut Enak Ferlemann MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, fundamentale Veränderungen im Verkehr hervorrufen Das Bundesverkehrsministerium arbeite daher aktuell an einer Bewertung der Digitalen Schiene, welche voraussichtlich im ersten Quartal 2019 fertig werde. Für die Digitalisierung müsse der gesamte Sektor zusammenarbeiten. Ferlemann sprach sich unter anderem auch für ein Forschungsprogramm Schiene aus, das aus den Finanzmitteln des Verkehrsministeriums gespeist werden solle.

Für DVF-Präsidiumsmitglied und Vorsitzenden der Geschäftsführung Abellio GmbH Stephan Krenz hat das European Train Control System (ETCS) das Potenzial, die Betriebsstabilität im System zu erhöhen und zusätzlich mehr Kapazität auf die Schiene zu bringen: „Es ist das Rückgrat für die "Digitale Schiene Deutschland". Damit ist die schnelle Einführung von ETCS es wert, in die Reihe der Top-Zukunftsprojekte Deutschlands aufzusteigen und sollte rasch unter finanzieller Beteiligung des Bundes implementiert werden.“

Nach den Worten von Wolfgang Wiehle MdB, stellvertretender Vorsitzender der PG Schiene, sei eine Grundsatzentscheidung in einem möglichst breiten Konsens und mit möglichst vielen Beteiligten nötig, die den Beginn des Einstiegs in die "Bahn 4.0" mit digitaler Signaltechnik und digitalen Stellwerken markiere. „Darauf aufbauend müssen notwendige zentrale Voraussetzungen für das Umstellungsprogramm erarbeitet bzw. vertieft werden, etwa die langfristige Sicherung der Bereitstellung der nötigen Haushaltsmittel, Verständigung über die einheitliche Auslegung des ETCS-Standards und die Umsetzung des Vorhabens auf Pilotstrecken.“ Wiehle wies nachdrücklich auf die hohe Bedeutung eines breiten politischen Konsenses für dieses langfristige Projekt hin. Dazu müsse es so flexibel aufgestellt sein, einen Regierungswechsel und Kostenänderungen zu überstehen und neue Techniken zu integrieren.

„ETCS und Digitale Stellwerke sind ein strategisches Thema. Gemeinsam bilden sie eine neue einheitliche digitale Plattform als Basis für viele weitere Innovationen und Nutzeneffekte im Schienensektor“, stimmte Ferlemann zu. Dies erfordere hohe Investitionssummen: jährlich rund 1,5 Milliarden Euro zusätzlich zum aktuellen Investitionsetat im Verkehrshaushalt. Das und die sehr lange Laufzeit bis 2040 mache eine Grundsatzentscheidung darüber so wichtig. Zudem sei man gegenüber der EU Verpflichtungen eingegangen und müsse bis 2022 sechs Hauptkorridore aus dem Transeuropäischen Verkehrsnetz mit ETCS ausrüsten. Und es reiche nicht aus, nur die Infrastruktur mit ETCS auszurüsten, es müssten auch die Fahrzeuge und die Stellwerke mit entsprechender Technik ausgestattet werden.

Umrüstung und Effizienzgewinne durch ETCS

„Es braucht eine Synchronisierung in der Leit- und Sicherheitstechnik, um eine rechtzeitige Inbetriebnahme zu garantieren und Verspätungen für unsere Kunden und den Fahrgast zu vermeiden“,  sagte Dr. Jörg Nikutta, Geschäftsführer von Alstom Deutschland und Österreich. Dabei müssten in der Übergangszeit etwa 9.000 Fahrzeuge umgerüstet werden. Hier gebe es keine Standardlösungen.

Dass die Umstellung sich rechne und dem Kunden nütze, bestätigte Kay Euler, Leiter Konzernprogramm Digitale Schiene Deutschland, Deutsche Bahn AG. Momentan habe die Bahn einen hohen Instandhaltungsaufwand, da es sehr viele verschiede Stellwerke gebe. ETCS biete die Chance, eine einheitliche Technologie einzuführen, die im Betrieb kostengünstiger sei. Sie erlaube auch eine vorausschauende Instandhaltung, also Austausch von Komponenten, bevor sie kaputt gehen. Das erhöhe die Zuverlässigkeit und die Kapazität des Netzes. Wichtig sei, den Digitalisierungsprozess durchzuhalten, es als Branchenthema zu begreifen und es in Kooperation zu lösen. „Für die Digitalisierung der Schiene brauchen wir neue Formen der Partnerschaften mit der Industrie und dem gesamten Sektor“, so Euler.

Auch Krenz unterstrich, dass mit ETCS ein großer Sprung bei der Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit erreicht werde. Nicht alle Verkehrsunternehmen könnten jedoch eine Umrüstung der Fahrzeuge kostenseitig stemmen. Beispielsweise könnten im Regionalverkehr diese Kosten nicht an den Kunden oder in laufende Verkehrsverträge weitergegeben werden. Staatssekretär Ferlemann zeigte hier Problembewusstsein: Er wolle sich für die Förderung der Fahrzeugumrüstung einsetzen.

„Aber bei aller notwendigen Vorausschau in die digitale Zukunft der Schiene dürfen wir das bestehende System nicht vernachlässigen. Es sind auch dringend kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Pünktlichkeit und der Gesamtperformance des Systems Schiene notwendig. Wir müssen uns auf beides gleichzeitig konzentrieren, sowohl auf die "Schiene 4.0" in fünf bis zehn Jahren als auch auf das "hier und jetzt", mahnte Krenz.

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