Gatzer: Abschied von der schwarzen Null und Schuldenbremse nicht vor 2022

Nach Corona: Können wir uns die Mobilitätswende noch leisten?

Foto: photothek/ DVF
Foto: photothek/ DVF

Zur Videoaufzeichnung

Zur Bildergalerie

Zu den Begrüßungsreden Werner Gatzer und Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner

Berlin, 8. September 2020 – „Die Herausforderungen Klimawandel und Mobilitätswende haben sich durch das Auftreten der Corona-Pandemie nicht erledigt und stehen weiterhin auf der Tagesordnung. Daher werden wir wie in der Vergangenheit unsere finanziellen Ressourcen prioritär dafür einsetzen müssen“, erklärte der Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen Werner Gatzer gestern bei einer DVF-Veranstaltung in Berlin. Gatzer rechnete nicht mehr mit einem Einhalten der Schuldenbremse vor 2022 und sah auch nicht das Erreichen der schwarzen Null im Bundeshaushalt in einem überschaubaren Zeitraum.

Gatzer zeigte sich entschlossen, den Auswirkungen der Pandemie zielgerichtet zu begegnen, die notwendigen Konjunkturimpulse zu setzen und Deutschland schnell wieder auf einen Wachstumspfad zu führen. Ein Scheitern der Mobilitätswende könne man sich nicht leisten, denn sonst würde man seiner klimapolitischen Verantwortung nicht gerecht.

Die Sofortmaßnahmen und das Konjunkturpaket der Bundesregierung in dreistelliger Milliardenhöhe hätten den Wiederhochlauf der Mobilitätswirtschaft unterstützt, begrüßte DVF-Präsidiumsvorsitzender Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner die Maßnahmen des Bundes. „Zusätzlich zur Corona-Krise befindet sich die Branche in einem nie dagewesenen Transformationsprozess: Defossilisierung, Digitalisierung und Vernetzung. Daher bin ich der festen Überzeugung, dass der Bund schon heute die langfristig wirksamen Maßnahmen anschieben sollte, um für morgen die Rahmenbedingungen zugunsten unserer Unternehmen innovations- und investitionsfreundlich zu setzen. Digitalisierung und Infrastruktur sind hier wichtige Bereiche, in denen die öffentliche Hand weiter investieren muss.“

Gatzer hob die vielen Sofort- und Unterstützungsmaßnahmen für den Verkehrssektor hervor, zeigte sich allerdings darüber enttäuscht, dass bisher nur geringe Finanzmittel abgerufen wurden, etwa aufgrund immer noch fehlender Förderrichtlinien.

Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA) Hildegard Müller forderte, angesichts der weltweiten Pandemie die Themen Konjunktur und Klimaschutz zusammen zu denken: „Wir stehen zu den Pariser Klimaschutzzielen 2050 sowie zu den von der EU vorgegebenen CO2-Zielen und den damit eingegangenen Verpflichtungen, die geeignet sind, das Klimaziel auch zu erreichen. Klar ist aber auch: Die Corona-Krise stellt die deutsche Automobilindustrie vor beispiellose Herausforderungen. Eine weitergehende Belastung der Unternehmen durch noch anspruchsvollere Klimaschutzziele sehen wir daher sehr kritisch. Das kann für viele Unternehmen und damit die gesamte Industrie zur Überlastung führen. Die Transformation kann ohne eine engagierte – dem Klimaschutz verpflichtete – Industriepolitik nicht erreicht werden."

Mobilitätsfonds gefordert

Wie die Bundesregierung diesen Ansatz bereits in Teilen umsetzt, erläuterte Eva Kreienkamp, designierte Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG): „Die Branche begrüßt das Bus-Flotten-Modernisierungsprogramm sehr. Das Ziel Zero Emissions ist allerdings ein langfristiges, weshalb wir stabile und nachhaltige Förderung, zum Beispiel über E-Mobilitätsfonds für ÖPNV-Unternehmen, brauchen – auch über 2021 hinaus.“

Auch das DVF setzt sich seit Jahren für einen Mobilitätsfonds ein. Demnach sei das vom DVF geforderte Fondsmodell nach schweizerischem Vorbild für Investitionsmittel heute aktueller denn je, unterstützte Dr. Klinkner die Forderung. „Damit würde sich die Politik klar zur Zukunft unseres Standortes bekennen und Planungssicherheit schaffen.“

Ähnlich positiv stand Stephan Kühn MdB, Mitglied des Ausschusses für Verkehr und Digitale Infrastruktur im Deutschen Bundestag, dem Fondsgedanken gegenüber: „Die Schuldenbremse im Grundgesetz sollte weiterentwickelt und mit einer verbindlichen Regelung für Investitionen verknüpft werden. Die Mittel dafür sollten in einen Bundesinvestitionsfonds überführt werden, der als Sondervermögen auch der Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur zugutekommt. Für wirksamen Klimaschutz und eine ökologische Mobilitätswirtschaft sind mehr Investitionen in die Schiene, den öffentlichen Nahverkehr, die Radverkehrsinfrastruktur, in Elektromobilität und in die Infrastruktur für grüne Kraftstoffe notwendig."

Steuergelder zielgenauer einsetzen

Der Haushaltspolitiker Christoph Meyer MdB, Mitglied des Haushaltsausschusses im Deutschen Bundestag, sprach sich für eine zügige Rückkehr zu einem soliden Bundeshaushalt aus. Dieser sei bereits vor der Corona-Krise in einer Schieflage gewesen. Vor allem müsse man viel mehr alternative Kraftstoffe und Antriebe technologieoffen fördern. Meyer kritisierte, dass die Bundesregierung zu einseitig auf Elektromobilität setze: „Die deutsche Verkehrsinfrastruktur bedarf differenzierter und zielgenauer Lösungen, die durch parlamentarische Haushaltsberatungen erreicht werden können. Dazu zählen zum Beispiel smarte Investitionen in alternative Antriebs- und Speichertechnologien sowie in die digital vernetzte Mobilität.“ Meyer räumte ein, dass es in Krisenzeiten auch Aufgabe der Politik sei zu unterstützen. „Für die schwere Krise im Fahrzeugbau ist die Corona-Pandemie allerdings nicht die Ursache, sondern wirkt als Brandbeschleuniger. Wichtig ist, dass wir verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, smarte Anreize geben und technologieoffen in klimafreundliche Mobilität investieren“, forderte er.

Michael Eggenschwiler, Vorsitzender der Geschäftsführung Flughafen Hamburg GmbH, wies auf den dramatischen Einbruch des Luftverkehrs um 98 Prozent hin. Er betonte, der Luftverkehr sei ein Verkehrsträger, der weitgehend ohne staatliche Gelder wirtschafte. Die Klimaziele könnten nur durch synthetische Kraftstoffe erreicht werden, die es jedoch noch nicht in ausreichenden Mengen gebe: „E-Fuels sind ein wichtiges Element, um die hoch gesteckten CO2-Ziele erreichen zu können. Aktuell sind sie allerdings noch kaum verfügbar. Bevor wir über eine Quotenregelung nachdenken, brauchen wir daher Investitionen in Forschung und Entwicklung. Die Luftverkehrsteuer kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Derzeit verschwindet sie nach wie vor im Staatshaushalt. Dies muss sich ändern.“

Scharfe Kritik äußerte Stephan Kühn am Umgang mit Steuergeldern: „Unverändert fließen Milliarden in die falschen Projekte. Es werden weiter neue Fernstraßen gebaut, als ob es keine Klimakrise gäbe. Statt Klein-Klein mit zahlreichen Fördertöpfen, brauchen wir eine Investitionsstrategie für klimafreundliche Mobilität. Wer Zukunftsinvestitionen unterlässt, verschuldet sich bei den nächsten Generationen.“