DVF: Europa muss Impulse für offenen Handel setzen und eigene Wettbewerbsfähigkeit stärken

Quo vadis Globalisierung: Was bringt 2021 für den Welthandel und was heißt das für den Verkehrssektor?

Quelle: AdobeStock
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Berlin, 16. März 2021 – Der Mobilitätsverband der deutschen Wirtschaft DVF hat die neue EU-Handelsstrategie begrüßt und gefordert, dass Europa auf wichtigen Zukunftsfeldern die eigene Wettbewerbsfähigkeit stärken müsse.

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion über die Perspektiven des Welthandels in 2021 sagte der DVF-Präsidiumsvorsitzende Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner: „Keine andere Branche hängt so direkt vom Welthandel ab wie die Transportwirtschaft. Corona hat große Herausforderungen für die Lieferketten mit sich gebracht. Aber die globale Arbeitsteilung wird erhalten bleiben. Durch neue politische Rahmenbedingungen entstehen gegenwärtig neue Chancen für die Handelspolitik. Diese Chancen sollte Europa nutzen und sich aktiv für offene Märkte einsetzen. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass wir bei der Infrastruktur, der Digitalisierung und der Beteiligung unserer Industrie an technologischen Zukunftsthemen und großen Aufträgen konkurrenzfähig bleiben.“

Klinkner fügte hinzu, dass die Grenzen innerhalb der EU wieder vollständig geöffnet werden müssten. Der Binnenmarkt sei existenziell für die Unternehmen und die Bevölkerung. „Mit den Corona-Schutzmaßnahmen sind faktische Grenzschließungen entstanden. Es ist an der Zeit, dass die EU-Mitgliedstaaten zu Verlässlichkeit und koordinierter Vorgehensweise zurückkehren.“

Rupert Schlegelmilch, Acting Deputy Director-General, DG Trade, Europäische Kommission, erläuterte die neue Handelsstrategie der Europäischen Kommission. Die Strategie sei das Ergebnis eines intensiven Dialogs mit den Mitgliedstaaten, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Oberste Prämisse der EU bleibe die Offenheit des Handels, die Kooperation und möglichst multilaterale Regeln. Hinzu kämen Nachhaltigkeit und Durchsetzungsstärke als wichtige Pfeiler. Mit dem Leitbild der strategischen Autonomie sei keine Abkopplung oder Autarkie gemeint. Eine generelle Tendenz seitens der Industrie zu Re-shoring sah Schlegelmilch nicht. Unabhängig davon müsse Europa jedoch unter industriepolitischen Gesichtspunkten in wichtige Technologien investieren, um wettbewerbsfähig zu sein, so etwa bei der Batterieallianz. Kurzfristig gehe es darum, die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Es liege außerdem im Interesse Europas, die WTO wiederzubeleben. Dies müsse gemeinsam mit den USA geschehen.

Auch Helge Förster, Geschäftsführer, HÜBNER GmbH & Co. KG, als Vertreter des deutschen Mittelstands, warnte vor zunehmendem Protektionismus außerhalb der EU. Dieser äußere sich in hohen Lokalisierungsanforderungen und führe zur Abwanderung von Arbeitsplätzen, die nicht mehr rückverlagert werden. „Für die Beibehaltung der industriellen Wertschöpfung in Deutschland und Europa und für einen weiterhin leistungsfähigen öffentlichen Verkehr sind entsprechende Infrastrukturen und Produktionsstätten vor Ort notwendig. Dafür müssen dringend stärkere Anforderungen an Local Content in den hiesigen Ausschreibungen formuliert werden – wie es andere Länder bereits machen. Nur so lässt sich ein weiterer Abfluss von industriellem Know How und Arbeitsplätzen hierzulande verhindern."

Einen Kritikpunkt an der EU-Handelspolitik äußerte die EU-Abgeordnete Anna Cavazzini MdEP, Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz; Greens/EFA „Die EU muss ihre Politik an die größten Herausforderungen unserer Zeit anpassen, allen voran die Bewältigung der Klimakrise. Die neue, grüne Rhetorik der EU-Kommission für eine europäische Handelspolitik weist in die richtige Richtung. Allerdings sollte eine nachhaltige Handelspolitik auch die bestehenden und bereits ausverhandelten Abkommen auf den Prüfstand stellen, um sie mit den Klimazielen in Einklang zu bringen. Sonst werden die vielen klimaschädlichen Abkommen auf Jahrzehnte unberührt fortbestehen.“

Dr. Kurt-Christian Scheel, Geschäftsführer, Verband der Automobilindustrie (VDA) begrüßte die neue Handelsstrategie der EU-Kommission – diese dürfe jedoch nicht zu protektionistischen Maßnahmen führen. Daher müssten für jede neue Maßnahme die gesamten Folgen in Betracht gezogen werden. „Wir erleben derzeit einen Hoffnungsschimmer für die internationale Kooperation. Mit dem neuen US-Präsidenten sollte die Zusammenarbeit der EU mit den USA wieder entspannter vertieft werden können.“

Die Zukunft der Luft- und Raumfahrtindustrie hängt von einem regelbasierten weltweiten Handel ab. Für ein weltweit tätiges Unternehmen wie Boeing, das Kunden in mehr als 150 Ländern unterstützt, sind Freihandelsabkommen enorm wichtig. Dr. Michael Haidinger, President, Boeing Deutschland GmbH, dazu: „Als globales Unternehmen arbeiten wir ständig in sehr unterschiedlichen geopolitischen Konstellationen und wir begrüßen jede Initiative, die Freihandel und einen fairen Wettbewerb fördert.“ Es sei von entscheidender Bedeutung, dass die politischen Entscheidungsträger weiterhin einen produktiven Dialog führen, um Handelsdifferenzen zu lösen und die gegenseitigen wirtschaftlichen Vorteile einer starken und erfolgreichen Luft- und Raumfahrtindustrie hervorheben. „Insofern begrüßen wir die gegenseitige Aussetzung der Strafzölle zwischen den USA und der EU für 4 Monate, um in dieser Zeit eine endgültige Lösung im langjährigen Streit um Flugzeugsubventionen zu finden.“

Auf dem Weltmarkt in der Seeschifffahrt zeichne sich aktuell folgendes Bild, so Dr. Arnt Vespermann, Sprecher der Geschäftsführung, Hamburg Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft A/S & Co KG (Maersk Gruppe), DVF-Präsidiumsmitglied: „Die Reedereien tun seit Wochen alles, um ausreichend Leercontainer und Schiffskapazitäten dorthin zu bringen, wo diese oft überraschend und sehr kurzfristig benötigt werden. Experten erwarten eine gewisse Trendumkehr, sobald die Pandemie besiegt ist und die Menschen ihren Nachholbedarf für Dienstleistungen wie Reisen, Restaurantbesuche, Kino und Konzerte befriedigen können. Dann könnte sich die Nachfrage nach Konsumartikeln abschwächen, die derzeit verstärkt in unseren Containern gefahren werden.“

Handelsabkommen zwischen EU, China und Mercosur

Zum EU-Mercosur-Abkommen sei die Position des EU-Parlaments klar, erläuterte Cavazzini: Es könne so, wie es sei, nicht ratifiziert werden. Die Nachhaltigkeitsstandards im Abkommen seien „zahnlos“, die negativen Auswirkungen auf Menschen, Wälder und Klima seien unumkehrbar. „Wir Grüne sind der Ansicht, dass das Abkommen neu verhandelt werden muss, damit Nachhaltigkeitsbelange angemessen darin verankert werden können. Mit dem Abkommen mit China verhält es sich ähnlich: Die EU-Kommission hat ihre alten Fehler wiederholt und im Eiltempo ein Abkommen abgeschlossen, das keine sanktionierbaren Standards zu Menschen- und Arbeitsrechten enthält.“

Scheel hingegen äußerte die Hoffnung, dass man mit dem Investitionsabkommen der EU und China einem „Level Playing Field“ zwischen der EU und China erheblich näher komme. „Auch das Abkommen mit dem MERCOSUR ist wichtig und sollte schnell ratifiziert werden. Weitere Freihandelsabkommen mit Ländern des ASEAN und Indien müssen folgen. Gerade die Automobilindustrie ist weltweit vernetzt und hochgradig arbeitsteilig organisiert. Wir setzen deswegen auf freien und fairen Handel auf der Basis multilateraler oder bilateraler Abkommen. Das stärkt den Wohlstand für alle.“

Den Blick auf den heimischen Markt gerichtet, sagte Vespermann: „Antwerpen wie auch Rotterdam sind sehr produktive und effiziente und damit für Reedereien günstige Häfen, die über hervorragende Hinterlandverbindungen bis tief in den deutschen Markt verfügen. Transporte finden in vielen Fällen per umweltfreundlichem Binnenschiff statt. Wenn man dann noch Umschlagbetriebe vorfindet, die zum Beispiel auf verderbliche Waren wie gekühlte Früchte spezialisiert sind, sind das aus Reeder-Sicht sehr überzeugende Argumente. Die deutschen Wettbewerber sollten dies genau analysieren und entsprechend antworten.“