Rückschritte in puncto Infrastruktur kann sich der Verkehrsstandort Deutschland nicht leisten

„Gegenwind oder Anschub: Wie gestalten wir die Zukunft der Mobilität aus der Krise heraus?“

Quelle: DVF/Photothek
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Berlin, 16. April 2021 – Auf der 37. DVF-Mitgliederversammlung forderte der Präsidiumsvorsitzende Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner mit Blick auf die nächste Legislaturperiode eine solide Finanzierung und verlässliche Planung der Verkehrsinfrastruktur als zentralen Auftrag: „Rückschritte in puncto Infrastruktur kann sich der Verkehrsstandort Deutschland nicht leisten. Zumal Erfolg und Misserfolg bei der Infrastruktur auch auf andere Bereiche ausstrahlen – konkret auf den Klimaschutz und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Die nächste Bundesregierung muss den Investitionshochlauf für das Verkehrsnetz verstetigen, die Mittel dafür in einem öffentlichen Finanzierungsfonds planungssicher binden, die Zahl der Fachkräfte weiter erhöhen und die Reform der Planungs- und Genehmigungsprozesse engagiert fortsetzen – einschließlich partnerschaftlicher Modelle mit der Bauwirtschaft.“ Weitere Maßnahmen für die kommende Bundesregierung seien der Ausbau der Digitalisierung auch im Bereich der öffentlichen Hand, die Überführung des Straßenverkehrs in das europäische Emissionshandelssystem, die Rückführung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung in den Klimaschutz im Verkehrssektor, schneller Aufbau der Ladeinfrastruktur und einer globalen Produktion von grünem Wasserstoff sowie die vorhandenen mobilitätsorientierten Branchenprogramme, Aktions- und Masterpläne der Bundesregierung neu aufeinander abzustimmen.

Paradigmenwechsel in der Energie- und Klimapolitik

Um Klimaneutralität 2050 in der EU zu erreichen, brauche es einen Paradigmenwechsel in der Energie- und Klimapolitik, erklärte Prof. Dr. Veronika Grimm, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. „Die CO2-Bepreisung muss zukünftig das Leitinstrument sein, Abgaben und Umlagen beim Strom müssen reduziert werden. Klimaneutrale Mobilität erfordert insbesondere auch den konsequenten Ausbau von Infrastrukturen für Batterie- und Wasserstoffmobilität sowie die Schaffung von Optionen für die Verlagerung von Verkehren von der Straße auf die Schiene.“ Grimm kritisierte den schleppenden Abfluss der Finanzmittel beim Bund für Verkehrsinvestitionen, einen fehlenden kontinuierlichen Investitionsstrom sowie die mangelnde Personalausstattung der Behörden auf Kommunalebene.

Ähnlich äußerte sich der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Oliver Luksic MdB zum Thema CO2-Bepreisung: „Ein sektorübergreifender EU-Emissionshandel hat das Potential, die enormen Innovationskräfte des Marktes dort zu wecken, wo es am vielversprechendsten ist.“ Er lehnte nationale Alleingänge wie die nationale CO2-Besteuerung ab, da sie nicht dem globalen Klima helfen, sondern der deutschen Wirtschaft schaden würden. Hinsichtlich des Problems von Carbon Leakage sagte Luksic: „Das ist eine Herausforderung, die sich nur durch faire globale Wettbewerbsbedingungen lösen lässt. Indem wir auf Technologieoffenheit setzen und durch Freihandel die Diversität der Rohstoffversorgung stärken, lässt sich auch die Rohstoffknappheit reduzieren.“

Sabine Leidig MdB, bahnpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, warnte: „Der Wettbewerb um niedrigste Preise ruiniert auf Dauer Lebensgrundlagen vor allem im globalen Süden. Auch in Europa wirken sich Sozial- und Umweltdumping negativ aus. Ein Schlüssel für die Einhaltung planetarer Grenzen ist Kooperation, Regulierung und Kontrolle.“

Auf einen schnellen Einsatz von alternativen Antrieben und Kraftstoffen drängte Stefan Gelbhaar MdB, verkehrspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Aus erneuerbaren Energien hergestellter grüner Wasserstoff wird wesentlich werden, um zum Beispiel den Flugverkehr, aber möglicherweise auch den Lkw- und Schienenverkehr CO2-neutral zu machen. Im Pkw-Bereich haben wir mit batterieelektrischen Fahrzeugen bereits eine Alternative zum Verbrenner auf dem Markt, die jetzt schon massenhaft und effizient einsatzfähig ist. Warum also auf morgen warten, wenn wir das Klima heute schon schützen können und müssen.“ Einen EU-weiten CO2-Preis erwartete Gelbhaar nicht so schnell, da eine Einigung auf einen Preis für alle Mitgliedstaaten schwierig sein dürfte.

Verkehrswegefinanzierung umstritten

Als wesentlich bezeichnete Alois Rainer MdB, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Fortführung des Investitionshochlaufs: „Mit dem Rekord-Verkehrshaushalt 2021 haben wir die notwendige Gestaltungskraft und Verlässlichkeit geschaffen, damit unsere Verkehrsinfrastruktur erhalten, ertüchtigt und erweitert werden kann. Wir fördern konsequent den Ausbau des Verkehrsträgers Schiene, aber auch den ÖPNV und investieren in unsere Radverkehrsinfrastruktur. Gleichzeitig unterstützen wir die von der Corona-Pandemie Betroffenen.“ Der Bundesverkehrswegeplan 2030 mit vorgesehenen Verkehrsinvestitionen von über 270 Milliarden Euro im Zeitraum von 2016 bis 2030 sei eine Gesamtstrategie für Erhalt und Bau der Verkehrsinfrastruktur des Bundes. Um eine langfristige finanzielle Absicherung von Erhaltungsmaßnahmen abzusichern konnte sich Rainer eine Übertragung des Modells der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) auch auf andere Verkehrsträger vorstellen.

Gelbhaar hingegen forderte eine Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans: „Wir müssen den Bundesverkehrswegeplan und im Übrigen auch die neu geschaffene Autobahn GmbH so umpolen, dass Maßnahmen konsequent einem Ziel folgen: Nämlich die europäischen Klimaschutzziele zu erreichen. Wenn wir diese Prämisse in die Vorhabenplanung und Maßnahmenumsetzung verankern, dann schaffen wir damit Planungssicherheit und in der Folge eine nachhaltige Infrastruktur in Deutschland.“

Für Leidig war dagegen die Umverteilung zu Gunsten sozialer und ökologisch gerechter Mobilität und Versorgung entscheidend: „Der Finanzierungskreislauf Straße ist ein absurdes Konstrukt für noch mehr Autobahnen, die wir uns nicht mehr leisten können. Statt dessen muss der Ausbau der Bahn in der Fläche und im europaweiten Netz langfristig finanziert werden.“ Gegen eine Umschichtung jedoch sprach sich Kirsten Lühmann MdB, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion aus: Der Ausbau der Schiene erfordere Zeit, bereits jetzt seien die Züge voll. Daher müsse für die nächsten 15 Jahre der Verkehr auch über die Straße abgewickelt werden, und das erfordere Investitionen.

Gelbhaar: „Das Modell des Schweizer Verkehrsinfrastrukturfonds ist ein gutes Beispiel, wie eine langfristige und entschlossene Priorisierung für eine klima- und umweltfreundliche Mobilitätspolitik aussehen kann. Die Zweckmittelbindung gewisser Steuern folgt unserem favorisierten Prinzip Verkehr finanziert Mobilität. Dennoch ist das kein Allheilmittel, denn mit der Dekarbonisierung des Verkehrssektors müssen andere Einnahmequellen als z. B. die Mineralölsteuer gefunden werden.“

Lühmann dazu: „Wir haben bereits durch die Zweckbindung der Mauteinnahmen eine Nutzendenfinanzierung für die Straßeninfrastruktur. Diese wird ergänzt durch Haushaltsmittel, die auch mittelfristig gesichert sind. Diese Mittel sind nach den Anhebungen der letzten Jahre auch ausreichend für die Finanzierung unserer Infrastruktur. Bei der Eisenbahn ist die Erhaltung über einen Vertrag (LuFV) langfristig gesichert, für Neu- und Ausbaumaßnahmen gilt das gleiche wie für die Straßeninvestitionen.“

Für geschlossene Finanzierungskreisläufe und schnelleres Planen und Bauen setzte sich Luksic ein: „Verkehrswege sollen zügig ausgebaut, saniert und modernisiert werden. Dafür setzen wir auf eine umfassende Beschleunigung bei Planungs- und Genehmigungsverfahren und die Nutzung der Digitalisierung. Wir wollen Verkehrsträger nicht gegeneinander ausspielen, sondern einen nachhaltigen Investitionshochlauf in allen Bereichen gewährleisten. Daher halten wir an den geschlossenen Finanzkreisläufen bei der Infrastruktur fest. Das hat sich in Deutschland bewährt und schafft zudem Transparenz für den Steuerzahler."

Mängel bei der Digitalisierung

Laut Lühmann seien die Mängel bei der Digitalisierung nicht erst in der Corona-Pandemie aufgetaucht: „Ohne eine weitere Digitalisierung bei Verwaltung und Unternehmen insgesamt wird Deutschland nicht Logistikweltmeister bleiben.“ Die Digitalisierung bei der Schiene erfolge europaweit, dazu zähle auch die Digitale Automatische Kupplung bei Güterwaggons. Diese Projekte seien angelaufen und würden in Deutschland vorangetrieben. Beim Thema Verkehrsverlagerung zugunsten ÖPNV sei es leider nicht gelungen, eine Mobilitätsapp aufzubauen, über die der Nutzer alle Verkehrsmittel seiner Wahl durchgehend buchen und bezahlen könne.

„Durch Homeoffice, Homeschooling und Videokonferenzen hat Deutschland in der Corona-Pandemie notgedrungen einen enormen Digitalisierungsschub erlebt. Die Krise hat gezeigt, was alles möglich ist, aber auch, wo es noch Defizite gibt. Nach der Krise gilt es, schonungslos alles auf den Prüfstand zu stellen. Abläufe in der Verwaltung müssen zielgenauer, transparenter und effizienter werden. Staatliche Verantwortlichkeiten müssen klarer erkennbar und verständlicher sein. Das kann nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen gelingen“, sagte Rainer. Allerdings sei der Bund auf einem guten Weg beim Ausbau mit digitaler Infrastruktur, denn etwa 8 Milliarden von den eingeplanten 11 Milliarden Euro seien für die digitale Infrastruktur bisher verausgabt worden.