ÖPNV kann Innovation: Angebot, Digitalisierung und Partnerschaften für Kundennähe ausbauen
InnoTrans 2024 – International Busforum „Fahrplan Zukunft ÖPNV: Strategie, Benchmark und Rollout“
27.09.2024
Link zur Rede Dr. Rolf Erfurt / Link zur Bildergalerie / Link zu Hintergrund Urban Mobility Readyness Index
Berlin, 27. September 2024 – Dr. Rolf Erfurt, Vorstand Betrieb, Berliner Verkehrsbetriebe AöR (BVG), Präsidiumsmitglied Deutsches Verkehrsforum, hat auf dem DVF-Forum bei der InnoTrans die wesentlichen Stellhebel für einen „Fahrplan Zukunft ÖPNV“ benannt. Danach müssten die Mobilitätsangebote ausgebaut, mehr digitalisiert und automatisiert sowie die Investitionslücke geschlossen werden.
„Für die notwendige Akzeptanz des ÖPNV müssen wir Mobilitätsangebote ausbauen und Mobilitätshubs stärken, also Angebote mit Knotenpunkten des öffentlichen Verkehrs zusammenführen wie Parkplätzen, E-Ladestationen, Sharing-Angebote und Abstellanlagen für Fahrräder. Zudem braucht ein nachfragegerechter ÖPNV digitale Prozesse sowie die Flexibilität und Skalierbarkeit durch einen höheren Automatisierungsgrad. Und ohne Angebotsoffensive verpufft die Wirkung des Deutschlandtickets. Schließlich hat auch die Transformation ihren Preis mit angepassten Betriebshöfen, Ladeinfrastruktur und Flottenerneuerung.“ Laut Erfurt seien auch der Ausbau von Busspuren, die Automatisierung der U-Bahn und Kooperationen mit privaten Poolinganbietern, Taxi- und Miewagenbetreibern für die letzte Meile nötig.
Wie die Zukunftsstrategie in Berlin für 2035 aussieht zeigte Johannes Wieczorek, Staatssekretär für Mobilität und Verkehr, Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt Berlin: „Im klassischen ÖPNV läuft die Reaktivierung der Siemensbahn zum Bahnhof Gartenfeld; diese wird voraussichtlich 2029 wieder unter Verkehr sein. Wir haben den Lückenschluss der U3 zum S-Bf. Mexikoplatz auf den Weg gebracht, so dass sich unter anderem die Freie Universität vom Fern- und Regionalbahnhof Wannsee aus bald schneller und komfortabler wird erreichen lassen. Ebenfalls auf gutem Wege sind Verlängerungen von zehn Straßenbahnstrecken.“ Eine wichtige Aufgabe sei die Stabilisierung des Betriebes. Bei innovativen Lösungen komme es daher auch darauf an, dass sie einen Beitrag zur Robustheit des ÖPNV-Systems leisten.
Mit Blick auf Kapazitätserweiterungen sagte Thomas Wolf, COO Hacon und Segmentleiter MaaS, Siemens Mobility GmbH, dass durch den Einsatz von Software zusätzliche „digitale Kapazitäten“ freigesetzt und beispielsweise die Netzkapazität der vorhandenen Infrastruktur um bis zu 20 Prozent erhöht werden könne. „Künstliche Intelligenz bietet erhebliche Produktivitätssteigerungen in vielen Bereichen. Ein Beispiel: In der Transportplanung ermöglichen KI-optimierte Modelle, die bestehende Kapazitäten um bis zu 20 Prozent steigern und den Energieverbrauch um bis zu 30 Prozent reduzieren – ohne zusätzlichen Ausbau von Infrastruktur.“
Voneinander lernen, schnell skalieren
Joris D’Inca, Partner, Global Head of Logistics Sector, Market Leader Switzerland, Oliver Wyman, stellte das Ranking „Urban Mobility Readyness Index“ vor, in dem Städte im Hinblick auf ihre Mobilitätsangebote eingeordnet werden. „Der Bericht verfolgt nicht die Absicht, Medaillen oder Schmähpreise zu verleihen“, so D’Inca. „Vielmehr wollen wir mit dem Bericht Impulse geben, was Städte von anderen Städten lernen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jede Stadt andere Voraussetzungen mitbringt.“ Hervorzuheben sei laut D‘Inca die Vernetzung der Mobilitätsangebote. Bei «Mobility as a Service» werde die gesamte Reise unabhängig vom Verkehrsmittel wie ÖPNV, Scooter oder Mietrad gebucht. Damit hätten Städte in den vergangenen Jahren grosse Fortschritte erzielt. „Jede Stadt ist einzigartig, und jede hat ihre eigenen Herausforderungen in der Mobilität. Diese sind mit herkömmlichen Technologien oft nicht einfach zu lösen. Innovation ist ein Schlüssel zu deren Bewältigung. Dafür ist ein Schulterschluss zwischen der Wirtschaft und den Städten notwendig.“
Um Innovationen schneller in dem Markt zu bringen, plädierte Wolf für standardisierte Lösungen: „Wir glauben an produktbasierte Softwarelösungen, das heißt so viel wie möglich an Produkt und Standards und Customizing so viel wie nötig. Das reduziert Kosten, verkürzt die Time-to-Market und minimiert Risiken.“
Kooperationen eingehen, vorausschauend planen, Effizienzen heben
Christoph Ziegenmeyer, Vice President Communications & Public Affairs MOIA, bestärkte die Aussage von Erfurt zu Kooperationen mit Pooling-Anbietern: „Öffentlicher Nahverkehr und private Mobilitätsdienstleister müssen an einem Strang ziehen, damit die Lücke zwischen dem traditionellen öffentlichen Nahverkehr und dem Individualverkehr erfolgreich geschlossen werden kann. Autonomes Ridepooling kann hier einen entscheidenden Beitrag leisten und innovativer Teil des ÖPNV-Angebotes werden.“
Über die Einbeziehung von Mobilfunkdaten und anderen Quellen in digitalen Zwillingen könne sehr genau festgestellt werden, zu welcher Zeit sich die Fahrgastströme wohin bewegten, so Georg Polzer, Chief Product Officer Teralytics GmbH. Dies sollte man auch nutzen, um entsprechende Angebote zu entwickeln oder die Auswirkungen von Baustellen oder anderen Ereignissen vorauszuplanen. Das ermögliche neue Fahrgäste für den ÖPNV zu gewinnen. Daten könnten demnach sehr gut für die Angebotsplanung genutzt werden und auch als Echtzeitprognose über den digitalen Zwilling, etwa bei Sperrungen bei bestimmten Linien Fahrgästen Ausweichrouten anzeigen. Insgesamt forderte Polzer eine bessere finanzielle Ausstattung für die Digitsalisierung des ÖPNV.
Durch den Fachkräftemangel, steigenden Kostendruck oder die Umstellung auf Elektromobilität stiegen die Herausforderungen für die Verkehrsunternehmen, so Bastian Dittbrenner, Geschäftsbereichsleiter PT, IVU Traffic Technologies AG: „IT ist der Schlüssel, um Abläufe in den Betrieben effizienter zu gestalten und damit mehr Leistung für die Fahrgäste erbringen zu können. Die digitalen Lösungen dafür sind bereits vorhanden, sie müssen jedoch vollumfänglich angewendet werden. Diese vollständige Digitalisierung der Prozesse erfordert ein integriertes Denken – hier stehen wir den Kunden mit unserer Erfahrung zur Seite.“
Wieczorek sagte dazu, dass Innovationen im öffentlichen Interesse wünschenswert seien, wenn sie technisch realisierbar, wirtschaftlich tragfähig und markttauglich sind sowie einen angemessenen Nutzen für Mobilität und Umwelt in einem langfristigen Betrachtungshorizont stiften.
Klimafreundlich, autonom und kundenorientiert
Adrian Ulisse, Head Transit Partnerships Global, UBER, sagte, dass die Zukunft der Mobilität auf einer nahtlosen Zusammenarbeit zwischen individuellem und gebündeltem Verkehr beruhe, wobei öffentliche und private digitale Plattformen als Vermittler dienen würden, die richtige Dienstleistung zur richtigen Zeit und am richtigen Ort zu erbringen, unabhängig vom Verkehrsanbieter. „Internationale Beispiele etwa in Dallas zeigen, wie öffentlich-private Partnerschaften und integrierte digitale Plattformen die Mobilität optimieren können, indem sie den Nutzern flexible, nachhaltige Alternativen anbieten ohne dabei andere Dienstleistungen zu kanibalisieren.“ Mit einer Kooperation zwischen Verkehrsunternehmen und Poolinganbietern habe man in Dallas die Flächendeckung durch den ÖPNV um 50 Prozent erhöhen können.
Der Einsatz von moderner Technik schafft mehr Sicherheit, Kapazität und Klimaschutz. Das erläuterte Meryem El Morjani, Vice President Marketing & Strategy, Hitachi Rail: „Die kommunikationsbasierte Zugsteuerung (CBTC) ist die fortschrittlichste Signallösung, die derzeit für U-Bahnen und People Mover zur Verfügung steht. Sie ermöglicht Kapazitätssteigerungen von bis zu 40 Prozent im Vergleich zum herkömmlichen Signallösungen und spart gleichzeitig Energie. Die Lösung SelTrac™ CBTC von Hitachi Rail integriert bereits heute intelligente Green-CBTC-Algorithmen, die eine Senkung der Traktionsenergie um 15 Prozent im Vergleich zum herkömmlichen CBTC ermöglichen. Von Doha bis Singapur ermöglicht Green CBTC den Betreibern, umweltfreundlicher und energieeffizienter zu arbeiten.“ Gleichzeitig senkt die Automatisierung den Energieverbrauch um bis zu 15 Prozent, weitere 10 Prozent können durch datengestützte Optimierungen der Fahrprofile erreicht werden.
Ziegenmeyer legte final das Augenmerk auf das Thema autonomes Fahren: „Das autonome Fahren wird eine entscheidende Rolle bei der Weiterentwicklung und dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs spielen. Nur diese Schlüsseltechnologie ermöglicht es, geteilte Mobilität wie Ridepooling hochverfügbar, effizient und kostengünstig in die Fläche zu bringen. So können wir die Lücke zwischen Nahverkehr und Individualverkehr schließen.“