Digitalisierung als Schlüssel zur Mobilität der Zukunft: Deutschland muss die Bremsen bei der Regulatorik lösen

Parlamentarischer Abend zur Digitalpolitik in der 21. Legislaturperiode: Welche Weichenstellung benötigt der Mobilitätsstandort Deutschland?

24.06.2025

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Bildquelle: DVF/Photothek: V. l.: Jordan MdB; Dr. Eck, DVF; Dr. van Hoorn, DVF; Dr. Kirchner; Kusmin-Tyburski; Victoria Broßart MdB; Jarzombek MdB; Hagedorn; Finke; Dr. Wieduwilt.
Bildquelle: DVF/Photothek: V. l.: Jordan MdB; Dr. Eck, DVF; Dr. van Hoorn, DVF; Dr. Kirchner; Kusmin-Tyburski; Victoria Broßart MdB; Jarzombek MdB; Hagedorn; Finke; Dr. Wieduwilt.

Berlin, 24. Juni 2025 – "Die Mobilität ist untrennbar mit der Digitalisierung verbunden“, das war die klare Botschaft von Petra Finke, Chief Digitalization Officer (CDO), Mitglied des Vorstands DEKRA SE und DVF-Präsidiumsmitglied, auf dem Parlamentarischen Abend des Think Tanks Deutsches Verkehrsforum. „Um das Potenzial der künstlichen Intelligenz und der digitalen Transformation voll auszuschöpfen, müssen wir schnell, selbstbewusst und kooperativ sein.“ Innovationsfreundliche Rahmenbedingungen für AI „Made in Germany“ und die gleichzeitige akteursübergreifende Zusammenarbeit beim Schutz digitaler Infrastrukturen seien essenziell, um den deutschen und europäischen Digitalstandort innovativ und sicher und damit wettbewerbsfähig zu gestalten!

„Als erstes Land weltweit haben wir 2021 in Deutschland ein Gesetz zum autonomen Fahren verabschiedet. Doch die autonomen Fahrzeuge fahren in USA oder China, nicht bei uns.“ Digitalisierung, autonome Fahrzeuge, integrierte Verkehrssysteme, neue Plattformdienste und intelligente Infrastrukturen seien wichtige Schlüsselfaktoren und Wertschöpfungsbereiche für den deutschen Mobilitätsstandort. Man brauche einen Rechtsrahmen, der die Chancen fokussiere und Spielräume für technologische Innovationen und Geschäftsmodelle öffne. „Digitalisierung ist grundlegende Voraussetzung für unsere Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit“, unterstrich Finke.

Thomas Jarzombek MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung sagte, dass Deutschland agiler werden müsse. Eine wichtige Aufgabe des Ministeriums sei es, dass der Staat selbst digitaler werde: „Wir müssen für einen Kulturwandel sorgen. Dazu haben wir drei Themen identifiziert. Erstens wollen wir mehr Vertrauen in der Bundesverwaltung schaffen für die Nutzung der Systeme anderer Häuser. An dieser Stelle wollen wir den Deutschland-Stack anbieten, bei dem Softwarekomponenten wie in einem Regal zur Verfügung stehen, aus dem man sich bedienen kann. Zweitens müssen wir die Komplexität reduzieren. Durch zu hohe Anforderungen fallen Projekte zu oft aus dem Zeit- und Kostenrahmen, zudem muss die Bedienbarkeit (UX) besser werden. Und drittens trifft man zuweilen auf eine zu große Staatsgläubigkeit. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Wir wollen mehr Markt und Wettbewerb wagen, gerade mit Blick auf digitale Souveränität.“ Jarzombek ging auch auf die Mobilfunkabdeckung ein. Das Ziel sei, bis 2030 99,5 Prozent der Fläche mit Mobilfunk abzudecken, und zwar durch jeden Anbieter. Zudem werde dem Bau von Mobilfunk und Glasfaser ein übergeordnetes Interesse zugewiesen. 

„Viele unserer Verwaltungen sind noch nicht in der digitalen Welt angekommen. Somit wird Fortschritt unnötig ausgebremst. Wir brauchen moderne Behörden, die klimafreundliche Mobilitätslösungen nicht verwalten, sondern möglich machen“, sagte Victoria Broßart MdB, Obfrau der Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuss für Verkehr und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Digitales und Staatsmodernisierung.

Regulierung und Innovationsförderung

Für Broßart hat die EU mit dem Gesetz zur künstlichen Intelligenz (EU AI Act) einen wegweisenden Rechtsrahmen geschaffen. Nun komme es auf eine praxistaugliche Umsetzung an, die nahe an der Lebensrealität der Menschen sei. „Verlässliche und gezielte Förderung von Innovationen mit einem Fokus auf das Gemeinwohl sowie die ökologische Transformation, sollten in den Mittelpunkt rücken. Es ist wichtig, dass der AI Act nun tatsächlich in Kraft tritt und die Umsetzung auf europäischer Ebene und in Deutschland nicht weiter hinausgezögert wird. Nur dann haben die Unternehmen die nötige Sicherheit für neue Innovationen.“

Alexander Jordan MdB, Mitglied im Ausschuss für Verkehr, CDU/CSU-Bundestagsfraktion, blickte auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit: „Während wir hohen ethischen und sicherheitstechnischen Anforderungen gerecht werden wollen, sind andere Regionen oft agiler in der praktischen Umsetzung. Zum Beispiel lassen die USA im Bereich des autonomen Fahrens viel zu, allerdings tragen Unternehmen dadurch potenziell höhere Haftungsrisiken. Unser Fokus stimmt also grundsätzlich – insbesondere im Hinblick auf Vertrauen, Rechtssicherheit und gesellschaftliche Akzeptanz. Dennoch müssen wir die Brücke zur Anwendung schneller schlagen, indem wir regulatorische Freiräume für Erprobung schaffen, etwa durch Reallabore, Sandbox-Ansätze oder gezielte Innovationscluster.“

Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung

„Der EU AI Act und Datenschutz sind wichtig, aber der Ansatz muss überarbeitet werden. Einfach gesprochen geht es bei jeder Nutzung von Daten darum, dass man belegen muss, dass man sie braucht. Das Prinzip der Datensparsamkeit ist mit KI eigentlich nicht vereinbar“, so Michael Hagedorn, CEO der Materna Information & Communications SE. „Was digitale Innovation ausbremst, sind nicht fehlende Ideen, sondern der Mangel an souveräner Infrastruktur und tiefem technischen Know-how, das nötig ist, um KI wirklich mit den Kernprozessen in komplexen Multi-Cloud-Umgebungen zu vernetzen.“

„Im industriellen Kontext in Deutschland sehen wir erheblichen Nachholbedarf beispielsweise bei der durchgängigen Digitalisierung von Lieferketten. Oft fehlt es an harmonisierten europäischen Standards für den Datenaustausch und die Interoperabilität über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg, was die Effizienz in komplexen Produktionsprozessen massiv ausbremst“, stellte Dr. Ansgar Kirchner, CIO der Airbus Aerostructures GmbH, fest. Dies betreffe insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, die oft nicht die Ressourcen für eigene umfangreiche digitale Infrastrukturen haben. „Hier setzen wir beispielsweise im Rahmen des Aerospace-X Projekts an, um ein kollaboratives Datennetzwerk für die deutsche Luftfahrtindustrie zu etablieren.“

Potenziale und Unterstützung durch die öffentliche Hand

Sabina Kusmin-Tyburski, Leiterin Informations- und Vertriebstechnologie (CIO) bei den Berliner Verkehrsbetrieben AöR, sagte, dass öffentlicher Verkehr und private Mobilitätsanbieter gemeinsam ein verzahntes, attraktives Mobilitätsangebot anbieten und innovative und profitable Geschäftsmodelle entwickeln könnten. Hierfür müssten ÖV, Sharing-Angebote, der Game Changer autonomes Fahren und ein attraktives Mobilitätsbudget über eine Plattform vernetzt werden. „Wir wollen jetzt den nächsten Schritt zusammen mit Hamburg gehen mit „Max“, das im zweiten Halbjahr 2026 startet. Die beiden größten Nahverkehrsunternehmen in Deutschland, BVG und Hochbahn, bündeln ihre Kräfte für eine städteübergreifende Mobilitätsplattform, die auch zukünftig offen sein soll für weitere Städte und Unternehmen.“ Von der Politik brauche man vor allem drei Dinge: „Erstens Unterstützung für Kooperationen im ÖPNV in Sachen Digitalisierung, denn das Rad muss nicht überall neu erfunden werden. Zweitens Rahmenbedingungen für einen Wachstumsmarkt für autonome und geteilte Mobilität. Und drittens Unterstützung für ein attraktives Mobilitätsbudget.“

Aus Sicht eines Herstellers sagte Kirchner, dass das größte Potenzial für digitale Technologien in der Optimierung von Produktionsabläufen sowie in der vorausschauenden Wartung durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Digitalen Zwillingen liege. „Ein praktisches Beispiel ist die Nutzung von Digital Twins, um virtuelle Tests von Flugzeugkomponenten durchzuführen, was die Entwicklungszeit erheblich verkürzt und Fehler frühzeitig erkennt, noch bevor physische Prototypen gebaut werden.“

Die Flankierung durch die öffentliche Hand sollte nach den Worten von Hagedorn gezielt souveräne Datenräume fördern und gleichzeitig innovationsfreundliche, pragmatische Regelwerke für KI schaffen – insbesondere für Physical AI, die bald in sicherheitskritischen Bereichen zum Einsatz kommt.

Die öffentliche Hand kann laut Jordan Innovationen durch schnellere Verfahren, einfacheren Zugang zu Förderungen und bessere Dateninfrastrukturen unterstützen. So habe die Digital Hub Initiative vielversprechende Ansätze zur Förderung der digitalen Wirtschaft gezeigt. „Es ist wichtig, vom technologisch Machbaren zum ökonomisch Sinnvollen zu kommen. Unternehmen müssen erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle entwickeln und implementieren. Der Staat - idealerweise als digitaler Vorreiter - kann für diese Geschäftsmodelle als Ankerkunde dienen und somit diesen Prozess signifikant beschleunigen.