Forschung und Innovation für die Schiene: Von der Wissenschaft bis in die Erprobung

20.03.2025

Zur Liste

Copyright © Ingrid Kudirka
Copyright © Ingrid Kudirka

Es wird geforscht und erprobt, um das System Schiene moderner, effizienter, wettbewerbsfähiger, sicherer, umweltfreundlicher und digitaler zu machen. Im Lenkungskreis Bahntechnologie stellten die Gesellschaft des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung DZSF und das TecLab, Deutsche Bahn AG, ihre wichtigen und spannenden Forschungsarbeiten vor.

Das Deutsche Zentrum für Schienenverkehrsforschung beim Eisenbahn-Bundesamt (DZSF) versteht sich als Denkfabrik des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) und ist eine unabhängige, technisch-wissenschaftliche Ressortforschungseinrichtung des Bundes mit fünf Fachbereichen. 2019 ist das DZSF an den Start gegangen und betreibt sowohl eigene als auch Auftragsforschung. Dr. Merle Orth, Leitung Fachbereich Mobilität und Gesellschaft des DZSF erklärte: "Wir forschen anwendungsorientiert und interdisziplinär, beraten den Bund auf hohem wissenschaftlichem Niveau und vernetzen Wissenschaft und Bahnsektor. Für unsere Arbeit nutzen wir verschiedene Instrumente: Wir vergeben als DZSF Projekte und Studien im Rahmen der Auftragsforschung. Wir betreiben Eigenforschung und bewerben uns um Drittmittel. Darüber hinaus sind wir als Projektträger im Auftrag des BMDV für die Umsetzung des Förderprogramms Zukunft Schienengüterverkehr zuständig."

"Wir forschen anwendungsorientiert und interdisziplinär, beraten den Bund auf hohem wissenschaftlichem Niveau und vernetzen Wissenschaft und Bahnsektor."

Beispielhaft für Forschungsinhalte seien etwa "Energiebedarf oberleitungsfreier Schienengüterverkehr", "Abstell- und Zugbildungsgleise", "öffentliche Ladestellen" und "Güterstruktureffekt". Mit eigenen Workshops und Konferenzen sowie der Mitarbeit in Gremien werde das Ziel verfolgt, Forschungsergebnisse zu verbreiten und in die Praxis zu überführen. Aktuell erarbeitet das DZSF seine mittelfristige Forschungsstrategie und nutzt hierzu u. a. die Ergebnisse einer breit angelegten Delphi-Befragung, so Orth.

 

Das Zukunftslabor auf der Schiene: TecLab der Deutschen Bahn AG

Quelle: TecLab / Deutsche Bahn AG, Mario Lichtenberg
Quelle: TecLab / Deutsche Bahn AG, Mario Lichtenberg

Mario Lichtenberg, Leiter Grundsätze und Erprobungen TecLab, Deutsche Bahn AG, stellte die Leistungsfähigkeit des advanced TrainLab als „Zukunftslabor“ auf der Schiene vor. Innovative Ideen sollen durch diesen advanced TrainLab von der Theorie in die Praxis schneller überführt werden. Diese Züge haben laut Lichtenberg folgende Merkmale:

  • branchenoffene Versuchszüge zum Testen neuer Technologien in Kooperation mit Industrie und Wissenschaft
  • Komponenten wie Antennen, Kameras und Sensoren können unter realen Bedingungen getestet werden.
  • Die Baureihe 605 kann mit dieselelektrischem Antrieb flexibel auf dem deutschen Netz eingesetzt werden.
  • Genügend Bauraum in Triebzug zur Installation von Testequipment
  • Testfahrten abseits des regulären Fahrgasteinsatzes
  • Hochgeschwindigkeitszüge bis 200 km/h

"Unter realitätsnahen Bedingungen kann so die Erprobung innovativer Lösungen beispielsweise zur Optimierung der Fahrgast-Konnektivität erfolgen."

„Die Technikfelder sind groß und reichen von Automatic Train Operation (ATO), Oberflächentechnik über Konnektivität bis European Train Control System (ECTS)“, erklärte Lichtenberg. „Wir können ganz verschiedene Techniken auf dem Advanced TrainLab testen, etwa unter dem Einsatz von Connectivity Testplattformen. Unter realitätsnahen Bedingungen kann so die Erprobung innovativer Lösungen beispielsweise zur Optimierung der Fahrgast-Konnektivität erfolgen. Darüber hinaus können die vier Motoren simultan auf einem einzigen Fahrtprofil mit verschiedenen Kraftstoffen betrieben werden. Das erhöht die Aussagekraft und macht Kraftstoffvergleiche möglich. So zeigt sich etwa, dass im Langzeittest die Partikelfilter, die nachträglich für diese Tests eingebaut wurden, bei dem Einsatz von HVO weniger Ascherückstände aufwiesen als die, die mit B7-Diesel betrieben wurden. Dies könnte sich potenziell positiv auf die Lebensdauer der Filterelemente auswirken, sagte Lichtenberg.

Automatisierung und Digitalisierung im Schienenverkehr

Copyright „Alstom Transportation Germany GmbH/ Christian Schunke-Mau
Copyright „Alstom Transportation Germany GmbH/ Christian Schunke-Mau"

„Der Digitale Knoten Stuttgart ist ein Leuchtturmprojekt für die Digitalisierung der Schiene in Deutschland. Das übergeordnete Ziel des Projekts ist die Schaffung von mehr Kapazität auf der gegebenen Infrastruktur im Knoten Stuttgart durch Einsatz digitaler Fahrzeugtechnik basierend auf ETCS Level 2 ohne Signale, ATO GoA2 und weiterer kapazitätssteigender, innovativer Maßnahmen passend mit der ebenfalls zu digitalisierenden Infrastruktur. Damit wird ein zuverlässigerer und leistungsfähigerer Verkehrsfluss im Knoten Stuttgart gewährleistet. Der digitale Knoten Stuttgart umfasst sowohl die Nachrüstung bestehender Fahrzeuge, die direkte Ausrüstung neuer Fahrzeuge mit digitaler Technik als auch den digitalen Ausbau und die Optimierung der Infrastruktur für die Umsetzung einer durchgehenden digitalen Vernetzung von Fahrzeug und Infrastruktur“, so Christian Schunke-Mau, Customer Director, Alstom Transportation Germany GmbH. Das Gesamtsystem Schiene müsse optimiert und die Fahrzeuge mit digitaler Technik ausgerüstet werden, um mit der kommenden digitalen Infrastruktur kompatibel zu sein. Hierbei gebe die Infrastruktur die Rollout-Geschwindigkeit vor. „Der Masterplan für die Schieneninfrastruktur wird überarbeitet. Dabei läuft die Migration von Alttechnik auf digitale Technik derart ab, dass die Fahrzeuge zeitlich vorweglaufend doppelausgerüstet werden (Alt-/Digitaltechnik), während auf der Infrastruktur von einem zum anderen Tage umgestellt wird.“, ließ Schunke-Mau wissen.

"Über 10.000 Fahrzeuge in Deutschland müssten umgerüstet werden, wobei Alstom in den nächsten 3 Jahren schon etwa 1.500 Fahrzeuge, startend für den DKS, weiter für die S-Bahn Hamburg, den Fernverkehr und den internationalen Güterverkehr ausrüstet.“

Für den Digitalen Knoten Stuttgart bedeute das eine Nachrüstung von 361 Zügen mit ETCS. 130 Neufahrzeuge kämen direkt vom Werk. Somit würden mehr als 500 Fahrzeuge für den Digitalen Knoten Stuttgart vor Inbetriebnahme des Knotens digitalisiert. „Ziel ist, bis 2026 die Fahrzeuge und Infrastruktur des digitalen Knotens Stuttgart vollständig umzurüsten. Aber der Rollout geht weiter: Über 10.000 Fahrzeuge in Deutschland müssten umgerüstet werden, wobei Alstom in den nächsten 3 Jahren schon etwa 1.500 Fahrzeuge, startend für den DKS, weiter für die S-Bahn Hamburg, den Fernverkehr und den internationalen Güterverkehr ausrüstet.“

Der erfolgreiche Abschluss dieser Umrüstungsmaßnahmen werde nicht nur die technische Leistungsfähigkeit des Systems Bahn verbessern, sondern auch die Grundlage für zukünftige, noch weiter automatisierte und nachhaltige Lösungen legen, so der Ausblick von Schunke-Mau.

Runder Tisch Schienengüterverkehr

Copyright: Bundesministerium für Digitales und Verkehr / Runder Tisch Schienengüterverkehr
Copyright: Bundesministerium für Digitales und Verkehr / Runder Tisch Schienengüterverkehr

Der Runde Tisch Schienengüterverkehr (SGV) unter Leitung von Staatssekretärin Susanne Henckel dient als Gremium zwischen der Branche und dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr BMDV dazu, den Schienengüterverkehr gemeinsam voranzubringen. Seine Sitzungen werden fachlich durch die AG Umsetzung Masterplan SGV vorbereitet, die ihrerseits spezifische Unterarbeitsgruppen (UAG) eingerichtet hat – u. a. die UAG AutoDig. Diese hat eine Strategie zur umfassenden Automatisierung und Digitalisierung des SGV erarbeitet, um den Innovationsstau im SGV abzubauen. Die Strategie wurde am 25. September 2024 vom Runden Tisch verabschiedet. Ziel ist eine höhere Wettbewerbsfähigkeit, um eine Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene zu fördern.

Diese Strategie erläuterten Jörg Stephan, Referatsleiter Güterverkehr, DAK, Förderrichtlinien des BMDV, und Dr. Hans-Joachim Lucke, Senior Business Architect, DXC Technology, Rail Kompetenzzentrum Rail & Transit Solutions.

"Der Schienengüterverkehr bietet große Potenziale durch verstärkte Automatisierung und Digitalisierung, etwa beim automatisierten Fahren."

Jörg Stephan

„Die Strategie von Branche und Ministerium beschreibt Herausforderungen und Chancen im Schienengüterverkehr, der insbesondere gegenüber dem Straßengüterverkehr ein erhebliches Innovationsdefizit und komplexe Akteursstrukturen aufweist. Der Schienengüterverkehr bietet große Potenziale durch verstärkte Automatisierung und Digitalisierung, etwa beim automatisierten Fahren. Der notwendige Investitionsaufwand für grundlegende Innovationen übersteigt aktuell allerdings die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Akteure“, zeigte Stephan auf.

"So belaufen sich die Umrüstungskosten der Digitalen Automatischen Kupplung nach Expertenschätzungen europaweit auf mindestens 13 Milliarden Euro."

Dr. Hans-Joachim Lucke

Lucke nahm Stellung zu den elf Top-Innovationen aus der Strategie: „Diese weisen oftmals vielfältige Zusammenhänge und Abhängigkeiten auf. Der Reifegrad der Innovationen ist aber sehr unterschiedlich. Ein Nutzen stellt sich teilweise erst bei einer systemhaften, flächendeckenden und diskriminierungsfreien Einführung in der Branche ein, was einen erheblichen Investitionsbedarf mit sich bringt. So belaufen sich die Umrüstungskosten der Digitalen Automatischen Kupplung nach Expertenschätzungen europaweit auf mindestens 13 Milliarden Euro.“

Nun gelte es, die Strategie und ihre mehr als 40 Handlungsempfehlungen umzusetzen und zu einer gemeinsamen Strategie der Bundesregierung weiterzuentwickeln, um eine breite Unterstützung der Umsetzung zu organisieren.