Nach der Generalsanierung ist vor der Generalsanierung: Was können wir aus der Sanierung der Riedbahn lernen?

22.05.2025

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© Deutsche Bahn AG / Oliver Lang
© Deutsche Bahn AG / Oliver Lang

Die Sanierung der Riedbahn markiert einen entscheidenden Schritt in der Erneuerung und Modernisierung des deutschen Schienennetzes. Als Teil der Hochleistungs-Korridorsanierung sollte dieses Projekt nicht nur konzeptionell innovativ, sondern auch praktisch effizient umgesetzt werden. Im Lenkungskreis Schienenverkehr wurde die Perspektive des Infrastrukturbetreibers, der Baubranche und des Schienengüterverkehrs und deren Erfahrungen beleuchtet, da sie wertvolle Erkenntnisse für künftige Generalsanierungen bieten.

Dr. Wolfgang Weinhold, Programmleitung Generalsanierung, DB InfraGO, stellte das Konzept dem Lenkungskreis Schienenverkehr vor und sagte: „Mit der Generalsanierung haben wir uns für ein radikal neues Konzept entschieden, das zahlreiche auch in den kommenden Jahren anstehende Baumaßnahmen bündelt. Auf diese Weise nutzen wir Synergien und können langfristig die Einschränkungen für unsere Kundinnen und Kunden deutlich reduzieren. Beim Pilotprojekt Riedbahn haben wir beispielsweise den Oberbau saniert, die Bahnhöfe aufgewertet, zusätzliche Überleitstellen eingerichtet und das europäische Zugbeeinflussungssystem ETCS implementiert. Die Bündelung aller Maßnahmen hat dafür gesorgt, dass wir die benötigten Ressourcen, wie Personal und Maschinen optimal einsetzen konnten“, so Weinhold.

"Mit der Generalsanierung haben wir uns für ein radikal neues Konzept entschieden, das zahlreiche auch in den kommenden Jahren anstehende Baumaßnahmen bündelt."

 Das Ersatzkonzept und der Bau

Ein robustes Verkehrskonzept war essenziell, um die Auswirkungen der Vollsperrung der Riedbahn zu minimieren. Dies wurde über Geschwindigkeitsangleichungen, großangelegten Schienenersatzverkehr (SEV) und der Umleitung des Schienengüterverkehrs erreicht. Die Bauarbeiten habe man in zwei Baufeldern organisiert. Zudem hätten die gewerkeübergreifende Zusammenarbeit im Verbund sowie der 24-Stunden-Baubetrieb einen zügigen Fortschritt ermöglicht.

 Herausforderungen und Lernfelder: Komplexität meistern

Laut Weinhold bestanden die großen Herausforderungen in der hohen Komplexität des Oberbaus, bei der Integration moderner Technologien wie ETCS, dem Mangel an Schlüsselpersonalen sowie den Zulassungsprozessen, etwa für ETCS. „Um in zukünftigen Projekten noch effizienter zu werden, braucht es hier eine stärkere Standardisierung der Prozesse“, folgerte Weinhold.

Quelle DB InfraGO / Pünktlichkeitsprofil Fokus Riedbahn
Quelle DB InfraGO / Pünktlichkeitsprofil Fokus Riedbahn

Lehren für die Baubranche

René Hagemann, stellv. Hauptgeschäftsführer, Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V., begrüßte grundsätzlich die Idee einer umfassenden Generalsanierung. In der bisherigen Praxis der reaktiven Instandhaltung gibt es erhebliche Schwächen: „Ohne strategische Planung entstanden dadurch unverhältnismäßig hohe Kosten, etwa durch viele Maschinentransporte, insbesondere von Großmaschinen, zu eher kleinen Baustellen, die dann nicht einmal durchgängig bewirtschaftet werden durften“. Dadurch überstiegen die Logistikkosten nicht selten die Baukosten erheblich“. Die Bundesfachabteilung Bahnbau forderte auch deshalb bereits lange die Bündelung von Maßnahmen.

„Die Baubranche zieht bei der Riedbahnsanierung klare Schlussfolgerungen, die für zukünftige Infrastrukturprojekte richtungsweisend sind.“ 

Hagemann kritisierte konkret den kurzen Planungsvorlauf, unzureichende längerfristige Finanzierungsperspektive und Personalmangel, besonders bei Schlüsselkräften.

Die Lehren aus der Riedbahnsanierung sind vorausschauende Planung, gesicherte Finanzierung und ausreichende Ressourcen. „Wenn wir diese Erkenntnisse beherzigen, werden künftige Projekte effizienter.“ Langfristige Planbarkeit, etwa durch einen Fonds nach österreichischem Vorbild, und partnerschaftliche Modelle seien dafür essenziell.

Lektionen aus Sicht des Schienengüterverkehrs

© HUPAC / Irmtraut Tonndorf
© HUPAC / Irmtraut Tonndorf

„Der Schienengüterverkehr (SGV) kämpft mit sinkender Pünktlichkeit und steigenden Ausfällen, verursacht durch mangelhafte Infrastruktur. Auf der Nord-Südachse sind wir mit etwa 1.000 Störungen jährlich konfrontiert. Die unzureichende Qualität führt bereits zu einer Rückverlagerung des Güterverkehrs von der Schiene auf die Straße“, skizzierte Irmtraut Tonndorf, Director Communication, Hupac Intermodal SA, die aktuelle Lage.

"Um die Industrielle Versorgung Europas zu gewährleisten, ist eine Umleiterkapazität von mindestens 80 Prozent erforderlich."

Laut Tonndorf verlief die Riedbahnsanierung für den SGV reibungslos dank ausreichender Umleitungskapazitäten. Die sei durch ausreichende Reduzierung des Schienenpersonenverkehrs, elektrifizierte Ausweichstrecken und geringe Zusatzkilometer ermöglicht worden. Für die zahlreichen baubedingten Sperrungen auf der Rheintalbahn hingegen drohen Probleme durch unzureichende Umleitungskapazitäten. „Eine Umleitung durch das Elsass ist sehr aufwendig, da die Strecke nicht elektrifiziert ist. Vollsperrungen sind nur für kürzere Zeiträume in verkehrsarmen Monaten wie August denkbar. Um die Industrielle Versorgung Europas zu gewährleisten, ist eine Umleiterkapazität von mindestens 80 Prozent erforderlich.“ Ein Ausbau der Infrastruktur auf französischer Seite wäre langfristig hilfreich. Um Störungen zu minimieren, setzte Tonndorf auf proaktives Management, etwa durch die Schaffung von Bypasskapazitäten und Reserven. „Kleinere Maßnahmen wie der Wiederaufbau von Abstellanlagen als Puffer könnten die Stabilität erhöhen.“

Die Riedbahnsanierung zeige, wie durchdachte Planung und ausreichende Umleitungskapazitäten den SGV stabilisieren können. Für die Rheintalbahn 2027 seien innovative Lösungen und ein Ausbau der Infrastruktur nötig, um wirtschaftliche Einbußen zu vermeiden.

Die Zukunft der europäischen Eisenbahnpolitik

Die europäische Eisenbahnpolitik steht vor wichtigen Herausforderungen und Chancen. Kai Tegethoff, MdEP, Mitglied im Ausschuss für Verkehr und Tourismus des Europäischen Parlaments, berichtete im Lenkungskreis über den Ausbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V), das bis 2030 ein modernes, grenzüberschreitendes Schienennetz schaffen soll. Hier dränge die Zeit, und eine ausreichende Finanzierung über die Connecting Europe Facility (CEF) ist entscheidend. „Mir ist eine zentralisierte Abwicklung durch die European Climate, Infrastructure and Environment Executive Agency (CINEA) sehr wichtig, um sicherzustellen, dass grenzübergreifende Projekte Vorrang haben.“

„Das Ziel ist ein nahtloses Buchungssystem, das Angebote verschiedener Anbieter kombiniert, Plattformen öffnet und Fahrgastrechte stärkt, etwa bei Anschlussverlusten."

Tegethoff ging auch auf den High-Speed-Rail-Plan der Europäische Union ein: „Ich erwarte weniger einen parallelen Infrastrukturplan zum TEN-V-Netz, sondern vielmehr Vorschläge für Effizienzsteigerungen, also Erhöhung von Kapazitäten, Erhöhung von Geschwindigkeiten im bestehenden Netz.“ Ein großes Anliegen war für Tegethoff das Single Digital Booking and Ticketing Regulation-Gesetzespaket. „Das Ziel ist ein nahtloses Buchungssystem, das Angebote verschiedener Anbieter kombiniert, Plattformen öffnet und Fahrgastrechte stärkt, etwa bei Anschlussverlusten. Technische Standards stehen dabei zunächst im Vordergrund, um alle Beteiligten fair einzubinden.“

Im Bereich des Güterverkehrs solle die digitale automatische Kupplung (DAK) den Schienengüterverkehr revolutionieren. Ebenso werde der flächendeckende Einsatz des European Rail Traffic Management System (ERTMS) vorangetrieben. „Beide Projekte benötigen eine europäische Finanzierung und politische Priorität im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU“, sagte Tegethoff.