Zukunft auf die Schiene bringen: Warum FRMCS jetzt umgesetzt werden muss

27.06.2025

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Copyright © Accenture
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Der europäische Bahnsektor steht an einem entscheidenden Wendepunkt. Die ambitionierten Mobilitätsziele der EU sehen vor, den Güterverkehr auf der Schiene bis 2050 zu verdoppeln und den Hochgeschwindigkeitsverkehr zu verdreifachen. Ohne eine grundlegende Erneuerung der Kommunikationsinfrastruktur ist dieser Wandel kaum zu realisieren. Jakob Nawrath, Principal Director, Accenture, erläutert Ergebnisse und Forderungen unter anderem aus der Studie des Accenture Railway Center of Excellence. 

FRMCS als digitale Schlüsseltechnologie

Das heutige GSM-R-System – einst Meilenstein der digitalen Bahntechnologie – stößt zunehmend an seine technologischen Grenzen. Die Branche braucht jetzt eine neue, leistungsfähige Lösung: das Future Railway Mobile Communication System (FRMCS) auf Basis von 5G. FRMCS ist weit mehr als nur der Nachfolger von GSM-R. Es steht für einen Paradigmenwechsel – als digitale Grundlage eines modernen, vernetzten und nachhaltigen Bahnnetzes in Europa. Es bildet die infrastrukturelle Grundlage für eine durchgängig digitalisierte Bahn, ermöglicht die Echtzeitsteuerung von Zügen, vorausschauende Instandhaltung, Automatisierung und nahtlose grenzüberschreitende Interoperabilität. Auf Basis von 5G und Software Defined Networking (SDN) wird die Verfügbarkeit von Echtzeitdaten zum strategischen Erfolgsfaktor für sichere, effiziente und klimafreundliche Bahnoperationen.

 

Breite Zustimmung – aber stockende Umsetzung

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Eine aktuelle Studie des Accenture Railway Center of Excellence verdeutlicht: 95 % der 800 befragten europäischen Bahnentscheider:innen halten den Umstieg auf FRMCS für notwendig, 80 % sogar für dringend. Sie befürchten das schrittweise Auslaufen von GSM-R. Fehlende Ersatzteile, abnehmende Anbieterbasis und schwindendes Know-how stellen den laufenden Betrieb vor große Herausforderungen. Dennoch sehen sich nur 24 % der befragten Unternehmen als umsetzungsbereit. Viele Projekte verharren aktuell im Pilotstatus.

Woran liegt diese Diskrepanz? Die Einführung von FRMCS ist komplex – technologische, finanzielle, betriebliche und regulatorische Herausforderungen überlagern sich. Standardlösungen fehlen bislang weitgehend. Die Kosten für den Ausbau der Infrastruktur – vor allem in ländlichen Regionen – sind hoch, bei unklarem Return on Investment. Der Parallelbetrieb von GSM-R und FRMCS erhöht die Komplexität der Umsetzung. Nationale Regulierungsunterschiede verzögern Entscheidungen. Viele Marktakteure zögern daher – 40 % der befragten Betreiber geben an, FRMCS erst einführen zu wollen, wenn andere den ersten Schritt gemacht haben.

Was jetzt zählt:  Führung zeigen, digitale Kompetenzen aufbauen und Finanzierung neu denken

Vor allem Bahnbetreiber und Infrastrukturverwalter müssen die Führungsrolle übernehmen. Das bedeutet: klare Roadmaps für FRMCS entwickeln, langfristige Finanzierung sichern und mit Mobilfunkanbietern kooperieren, um bestehende 5G-Infrastrukturen zu nutzen. Pilotprojekte auf neuen Strecken sollten konsequent skaliert und Mittel aus dem GSM-R-Rückbau gezielt mobilisiert werden.

Gleichzeitig braucht es den Wandel hin zu softwaregesteuerten, datengetriebenen Bahnorganisationen. In einem 5G-FRMCS-Umfeld entstehen Mehrwerte nicht nur durch Konnektivität, sondern durch die intelligente Nutzung von Daten. Künstliche Intelligenz, Big Data Analytics und SDN (Software Defined Network) erfordern ein neues Mindset, digitale Kompetenzen und tiefgreifende organisatorische Transformation. Das Qualifizieren der Belegschaft wird dabei zum strategischen Imperativ – Mitarbeitende müssen neue Technologien bedienen, Daten interpretieren und in agilen, digital unterstützten Umgebungen arbeiten. Programme wie die UIC Rail Academy oder Schulungsinitiativen von Partnern unterstützen diesen Wandel bereits heute. Auch Change Management wird eine zentrale Rolle spielen.

Neben den technischen Voraussetzungen muss auch das institutionelle Umfeld aktiv gestaltet werden

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Es gilt, klare Zielbilder und verbindliche Zeitpläne zu definieren, Silos aufzubrechen und regulatorische Rahmenbedingungen anzupassen. Ein vielversprechender Hebel ist die gezielte Nutzung öffentlicher 5G-Netze mittels Network Slicing – wie etwa in Finnland erprobt. Dieser Ansatz eröffnet die Möglichkeit, auf kostenintensive, dedizierte eigene Netze zu verzichten, ohne Abstriche bei Sicherheit oder Verfügbarkeit machen zu müssen.

Finanzierung neu denken

40 % der Bahnentscheider:innen gehen davon aus, dass die öffentliche Hand die Umstellung vollständig finanzieren wird – gleichzeitig zögern 59 % mit Investitionen in Erwartung entsprechender Förderzusagen. Dieser „Wait-and-see“-Ansatz gefährdet die notwendige Dynamik. Öffentliche Programme wie die Connecting Europe Facility (CEF) sind ein wichtiger Startpunkt – reichen aber nicht aus. Gefragt sind flexible, zukunftsfähige Finanzierungsmodelle: etwa Shared-Infrastructure-Ansätze mit MNOs (Mobile Network Operator, Mobilfunkbetreiber mit eigenem Netz), Outsourcing-Modelle zur Umwandlung von CAPEX (CAPital EXpenditure, Investitionskosten) in OPEX (OPerational EXpenditure, Betriebskosten) oder Beteiligungen Dritter.

Erste Initiativen zeigen, dass der Wandel machbar ist

Die SBB testen FRMCS im Korridor Thun–Bern, die Deutsche Bahn arbeitet mit Mobilfunkanbietern an ersten Projekten entlang der Strecke Hamburg–Berlin. Diese Pilotvorhaben zeigen: Kompetenzen, Technologiepartner und Infrastrukturansätze sind vorhanden – nun braucht es Führungsstärke, klare Prioritäten und den entschlossenen Willen zur raschen Skalierung.

Fazit: Jetzt ist die Zeit zu handeln

FRMCS wird nicht über Nacht zum Standard – aber wer früh handelt, setzt Maßstäbe. Wer heute investiert, pilotiert und skaliert, prägt nicht nur technische Standards, sondern auch die Betriebsmodelle der Zukunft. Entscheidend sind dabei nicht allein technologische Fähigkeiten, sondern strategische Führung, verlässliche Partnerschaften und ein gemeinsames Verständnis für Ambition und Umsetzung. Mit entschlossener Führung, starken Partnerschaften und gemeinsamem Handeln kann Europa ein intelligentes, resilientes Bahnsystem schaffen – als Rückgrat eines vernetzten, klimafreundlichen Kontinents.

Für weitere Informationen zum Artikel oder zur zugrunde liegenden Studie wenden Sie sich gerne an: Jakob Nawrath, Principal Director, Accenture (jakob.nawrath@accenture.com)