Stirbt der Bahningenieur aus?

Lenkungskreis Bahntechnologie

16.10.2025

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Copyright © Deutsche Bahn AG / Volker Emersleben
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Die Lage ist dramatisch: Geschätzt weniger als 500 junge Menschen mit einem Hochschulabschluss in Bahnstudiengängen treten jährlich ins Arbeitsleben ein. Prof. Dr.-Ing. Birgit Milius, Präsidentin des Verbands Deutscher Eisenbahn-Ingenieure e. V. (VDEI), wies auf diese Situation im Lenkungskreis Bahntechnologie hin.

Ein Ziel des VDEI ist unter anderem die Förderung und Entwicklung junger Ingenieurinnen und Ingenieure. „Ein ambitioniertes Ziel bei nur 20 Universitätsprofessoren, die über ganz Deutschland verteilt sind“, gab Milius zu Bedenken. Die geringe Anzahl von Absolventen decke den Bedarf bei weitem nicht.  „Die Universitäten tun sich schwer, Bahnprofessuren neu auszuschreiben. Ein Grund sind unter anderem hohe Kosten für die Ausrüstung der Lehrstühle. Da sind beispielsweise Jurastudiengänge für die Universitäten günstiger. Hinderlich ist außerdem, dass es nur wenige Bewerber für Lehrstühle gibt und dies die Argumentation für eine Erhöhung der Anzahl der Lehrstühle erschwert. Auch die Studierendenzahl, vor allem im ersten Semester, ist gering“, beschreibt Milius die Situation.

„Die Universitäten tun sich schwer, Bahnprofessuren neu auszuschreiben."

Die Wünsche der Beteiligten an die Universitätsausbildung gehen auseinander, was die Lage komplizierter mache. Die Interessenslinien bewegten sich zwischen Theorie versus Praxis; Tiefe versus Breite und Wünsche der Universitäten versus Nöte der Gesellschaft.

 

So entsteht ein "Technologiecluster Bahn"

Lauritz Laufenberg / SRP Consulting AG
Lauritz Laufenberg / SRP Consulting AG

Lauritz Laufenberg, Senior Consultant, SRP Consulting AG, stellte den Aufbau eines Technologieclusters Bahn zum Katalysator für einen aktiven Strukturwandel im Rheinischen Revier über die Nachnutzung der RWE-Werksbahn vor. Damit könne eine weitere Attraktivitätssteigerung der Region erreicht, die Transformation hin zu einem innovativen Wirtschaftsstandort und der Erhalt bzw. die Schaffung hoch qualitativer Arbeitsplätze erzielt werden. Laufenberg erklärte das Konzept: „Die Nachnutzung der RWE-Werksbahn als Technologiecluster soll das Rückgrat bilden, diesen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen. Die Werksbahn mit über 300 km Gleislänge befindet sich in zentraler Lage an TEN-T Korridoren und hat bereits vier Anschlüsse ans öffentliche Netz. Erste Flächen in der Umgebung der Werksbahn werden ab 2026 frei und können entsprechend entwickelt werden. Diese sind auch mit separaten Bahnanschlüssen ausgerüstet.“

"Die Nachnutzung der RWE-Werksbahn als Technologiecluster soll das Rückgrat bilden, diesen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen."

Für Laufenberg ist die Fokussierung auf die Bahnindustrie zum Erhalt der Arbeitsplätze und aufgrund der vorhandenen Infrastruktur folgerichtig. So könne z. B. die RWE-Hauptwerkstatt im Leistungsportfolio erweitert werden. „Die Werkstatt nimmt bereits heute externe Aufträge wahr und weitere Leuchtturmprojekte sind in Planung.“ Eine Integration des RWE-Netztes in das umgebende öffentliche Schienennetz ist mit einigen baulichen Maßnahmen möglich.

Wie steht es um das Roll-out von ETCS in Deutschland?

Florian Böhm/ Bundesministeirum für Verkehr
Florian Böhm/ Bundesministeirum für Verkehr

Die Digitalisierung der Schiene ist ein zentrales Thema für die Modernisierung des Bahnverkehrs in Deutschland. Doch der Fortschritt beim Roll-Out digitaler Technologien verläuft laut Expertenmeinungen zu langsam. Es fehle nicht ausschließlich am Geld. „Für das Jahr 2024 konnten Finanzierungsvereinbarungen und Änderungsvereinbarungen für die Digitale Schiene mit einem Volumen von etwa 2,3 Milliarden Euro an Haushaltsmitteln und Verpflichtungsermächtigungen gebunden werden“, sagte Florian Böhm, Leiter Referat Leistungsvereinbarungen Bestandsnetz und Digitalisierung Schiene im Bundesministerium für Verkehr.

Fahrzeugumrüstung und Infrastruktur: Ein ganzheitlicher Ansatz

Ein häufig diskutierter Aspekt ist die Umrüstung der Fahrzeuge. Böhm betonte, es müssen Infrastruktur und Fahrzeuge gemeinsam gedacht werden: „Besonders die Leit- und Sicherungstechnik gilt als kritisches Gewerk, dessen Zustand sich laut den InfraGO-Zustandsberichten von 2023 auf 2024 weiter verschlechtert hat. Diese Entwicklung zeigt die Dringlichkeit, einheitliche Lösungen zu finden, die beide Bereiche – Infrastruktur und Fahrzeuge – gleichermaßen berücksichtigen.“

Mit der Novelle des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG) im Juli 2024 wurde die Einrichtung einer Koordinierungsstelle für die operative Steuerung des infrastruktur- und fahrzeugseitigen Roll-outs vorgesehen. Böhm schlug dazu ein institutionelles Steuerungsgerüst vor, das jedoch noch von der neuen Hausleitung des Verkehrsministeriums genehmigt und mit ausreichenden finanziellen sowie personellen Ressourcen ausgestattet werden muss. „Das vorgeschlagene Steuerungsgerüst umfasst eine enge Zusammenarbeit aller Akteure – von Ländern über Aufgabenträger bis hin zu Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und DB InfraGO. Zudem soll eine „Lenkungsinstitution Digitalisierung Schiene“ unter Federführung des Verkehrsministeriums entstehen, die die strategische Ausrichtung koordiniert.“

„Das vorgeschlagene Steuerungsgerüst umfasst eine enge Zusammenarbeit aller Akteure – von Ländern über Aufgabenträger bis hin zu Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und DB InfraGO."

Ein konstantes und verlässliches technisches Zielbild solle die Grundlage dafür bilden, die Digitalisierung ganzheitlich voranzutreiben. Statt isolierter Einzelprojekte sei ein umfassender Ansatz nötig, der Priorisierung, Steuerung und operative Umsetzung durch Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen vereine.

Meilenstein: Volumenvertrag für digitale Leit- und Sicherungstechnik

Hitachi Rail GTS Deutschland GmbH / Stefan Orlinski
Hitachi Rail GTS Deutschland GmbH / Stefan Orlinski

„Der Volumenvertrag ist ein Meilenstein für eine flächendeckende Digitalisierung der Schiene. Allein die feste Volumenzusage erhöht die Planungssicherheit stark. Dabei ist die Technologie an sich keine rocket science, aber die Komplexität in der Implementierung etwa gehört zu den potentiell hemmenden Faktoren,“ erklärte Stefan Orlinski, Director Strategic Account Deutsche Bahn, Hitachi Rail GTS Deutschland GmbH. Die Volumenzusage sei elementar für den Roll-out, auch weil dadurch der benötigte Personalaufbau ermöglicht werde.

"Der Volumenvertrag ist ein Meilenstein für eine flächendeckende Digitalisierung der Schiene."

Der Volumenvertrag adressiere die weiteren bisherigen Herausforderungen der hohen projektspezifischen Komplexität aufgrund einer inhomogenen Landschaft der Leit- und Sicherungstechnik (LST), komplexe langwierige Zulassungsverfahren oder projektweise Fortschreibung der Lastenhefte. „Nun werden stabile Lastenhefte geschaffen und Komplexreduzierung durch Stellwerke und ETCS aus einer Hand erreicht.“ Insgesamt seien dies verbesserte Rahmenbedingungen für den ETCS-Roll-out aus Perspektive der Industrie. Orlinski bewertete den Volumenvertrag als den einzigen richtigen Ansatz, ETCS mit digitaler Stellwerkstechnologie zeitnah in Deutschland auszurollen.

Schienenpolitische Agenda in der neuen Legislatur

www.verkehrsforum.de/de/presse/bilder-und-videos/2025-05-13-lenkungskreis-bahntechnologie
www.verkehrsforum.de/de/presse/bilder-und-videos/2025-05-13-lenkungskreis-bahntechnologie

DVF-Geschäftsführerin Dr. Heike van Hoorn analysierte den Koalitionsvertrag mit Blick auf die schienenpolitischen Weichenstellungen. „Es gibt positive Ankündigungen zur Finanzierung im Koalitionsvertrag. Die Koalition hat vor, die Schieneninvestitionen insgesamt zu steigern und einen Eisenbahninfrastrukturfonds einzuführen. Die Steuerung soll über das Instrument eines Infraplans erfolgen. Auch die Einbeziehung von privatem Kapital soll grundsätzlich möglich sein“, so van Hoorn eingangs. „Enorm wichtig aber ist eine überjährige, flexible und verlässliche Finanzierung.“

"Auch die Einbeziehung von privatem Kapital soll grundsätzlich möglich sein."

Die wesentlichen Aspekte im Koalitionsvertrag:

  • Die Finanzierung der Schieneninfrastruktur soll neben dem Sondervermögen weiterhin aus dem Bundeshaushalt erfolgen, ergänzt durch Einnahmen aus den Trassenentgelten.
  • Die Sanierung der Hochleistungskorridore soll aus dem Sondervermögen Infrastruktur finanziert und an dessen Laufzeit gekoppelt. Das Trassenpreissystem soll reformiert werden.
  • Für die ÖPNV-Finanzierung soll zwischen Bund und Ländern eine neue gesetzliche Grundlage geschaffen und ein Modernisierungspakt umgesetzt werden. Die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel soll angepasst werden. Die Mittel sollen als Bestellmittel für den Schienenpersonennahverkehr genutzt werden.
  • GVFG-Mittel sollen schrittweise deutlich aufgestockt und der Fördersatz erhöht werden.
  • Das Deutschlandticket soll bis 2029 auf heutigem Preisniveau gehalten werden, danach die Nutzerbeiträge erhöht werden.
  • Für die Digitalisierung und Elektrifizierung des Schienennetzes soll der Klima- und Transformationsfonds (KTF) als Finanzierungsinstrument dienen. Investitionen in die Digitalisierung sollen mit einem Schwerpunkt auf Digitale Stellwerke und flächendeckende ETCS-Ausrüstung priorisiert werden.
  • Stichtage für den Rechtsrahmen, umfassende Ausnahme des Ersatzneubaus von Planfeststellungsverfahren, Plangenehmigung als Regelverfahren, Bündelung der Beteiligung oder Standardisierung des materiellen Umweltrechts und Beschleunigung der Elektrifizierung der Schiene durch Verzicht auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis sind Vorhaben zur Beschleunigung von Planung und Realisierung von Infrastrukturvorhaben.
  • Für den Bürokratieabbau werden gebündelte Berichtspflichten, konsequente Nutzung der digitalen Identität und Datenaustausch zwischen Behörden vorgeschlagen.
  • Die Stromsteuer soll auf das europäische Mindestmaß gesenkt sowie die Übertragungsnetzentgelte reduziert werden.

"Außerdem sind Finanzierungsfragen zur Digitalen Automatischen Kupplung und der ETCS-Fahrzeugumrüstung offen.“

Neben diesen positiven Aspekten sind laut van Hoorn die angekündigten Finanzierungskreisläufe ungeklärt: „Wie wird die Kontinuität bei Schiene und Wasserstraße gewährleistet? Vor diesem Hintergrund sehe ich die unklare Ausgestaltung des Klima- und Transformationsfonds kritisch und damit die unsichere mehrjährige Mittelbindung für die Transformationsprojekte des Mobilitätssektors, da die Einnahmen des KTF grundsätzlich dem Gesamthaushalt zur Verfügung stehen sollen. Außerdem sind Finanzierungsfragen zur Digitalen Automatischen Kupplung und der ETCS-Fahrzeugumrüstung offen.“ Van Hoorn forderte, dass die angekündigten Erhöhungen der Verkehrsinvestitionen einschließlich der Sanierungsaufwendungen der einzelnen Verkehrsträger sich im Haushaltsplan als zusätzliche Mittel wiederfinden müssten.