Dr. Stefan Schulte

"Die Welt ist weniger planbar geworden"

Dr. Stefan Schulte ist Vorsitzender des Vorstands der Fraport AG. Er führt den Fraport-Konzern und verantwortet das Geschäftsfeld International Activities & Services. Zu seinem Ressort gehören die Bereiche „Akquisitionen und Beteiligungen“, „Projekt Ausbau Süd“, „Unternehmensentwicklung, Umwelt und Nachhaltigkeit“ sowie „Unternehmenskommunikation“. Dr. Schulte ist seit 2003 für die Fraport AG tätig und seit 2009 Vorsitzender des Vorstands.

Dr. Stefan Schulte
Dr. Stefan Schulte

Herr Schulte, hätten Sie sich jemals vorstellen können, dass die Flughäfen nach dem Stillstand im Luftverkehr wegen der Pandemie jetzt beim aktuellen Hochlauf so ins Straucheln kommen?

Ich kenne keine Prognose zu Beginn und im Verlauf der Pandemie, die ein so schnelles Wiederhochfahren vorhergesagt hätte. Alle haben zwar erwartet, dass der Luftverkehr stark zunimmt, wenn Corona nachlässt. Mit dieser Dynamik hatte selbst zum Jahresstart niemand gerechnet. Sie erinnern sich sicher, im Januar und Februar hat die Omikron-Variante noch das Geschehen bestimmt. Airlines haben daraufhin den Winterflugplan zusammengestrichen.

Erst Sozialpläne, jetzt Antrittsprämie. Wird das Auf und Ab so weitergehen? Worauf richten Sie sich ein?

Es spielen viele Faktoren eine Rolle, aber ich bleibe optimistisch. Geschäftsreisen kommen zunehmend zurück, interkontinentale Strecken Richtung Westen sind wieder stark gebucht, Urlaubsverkehre ohnehin. Wir stellen uns auf ein starkes Jahr 2023 ein.

Wir stellen uns auf ein starkes Jahr 2023 ein.

Wird es jemals eine Rückkehr zu planbarer Kontinuität geben?

Im Grundsatz gehe ich von höherer Volatilität in Zukunft aus, weil die Welt weniger planbar geworden ist. Das ist nicht nur eine Frage im gesundheitlichen sondern auch im geopolitischen Bereich. Trotzdem sehen wir, wie stark die Nachfrage in dem Moment ist, in dem die Menschen reisen können. Wir alle wollen mobil bleiben. Das ist wohl die wichtigste Erkenntnis aus so einer Krise.

Im Grundsatz gehe ich von höherer Volatilität in Zukunft aus, weil die Welt weniger planbar geworden ist.

Was bedeutet das vor allem für die Personalpolitik? Sie können ja keine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf Vorrat engagieren.

Luftverkehr ist ein Fixkostengeschäft. Da geht es um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber eben auch um Technik und Gebäude. Das braucht eine gewisse Auslastung. Wir müssen allerdings auf Dauer mehr Puffer einbauen und flexibler darin sein, wie wir unser Geschäft betreiben.

Aktuell brauchen Flughäfen ganz schnell neue Mitarbeiter, um den Ansturm zu bewältigen. Viele sind in der Pandemie abgewandert in andere Branchen. Lassen sich die Menschen zurückgewinnen?

Wir stellen allein seit Jahresanfang jeden Monat 100 bis 200 Mitarbeitende im operativen Bereich ein. Das zeigt ja, dass die Branche attraktiv ist. Die Schwierigkeit war doch, dass diese Branche als erste in die Krise hineingerutscht und am längsten dringeblieben ist. Man muss auch verstehen, wie schwierig das für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war, zu erleben, dass der Flugverkehr über einen längeren Zeitraum nahezu zum Erliegen kam. In einem starken Arbeitsmarkt zumindest hier in der Region Rhein-Main gab es natürlich viele andere attraktive Arbeitsplätze. Deswegen zahlen wir jetzt auch für dringend benötigte Kräfte bei der Be- und Entladung von Flugzeugen Antrittsprämien.

Wir stellen allein seit Jahresanfang jeden Monat 100 bis 200 Mitarbeitende im operativen Bereich ein.

Und Sie müssen überzeugen, dass es sich lohnt zurückzukehren.

Wir holen die Menschen aus bestehenden Beschäftigungsverhältnissen. Deshalb dauert das auch länger als ursprünglich erwartet. Wir haben inzwischen aber genügend Maßnahmen ergriffen, bis hin zu Gehaltserhöhungen, um attraktiv als Arbeitgeber zu sein.

Geld ist das eine, die Arbeitsbedingungen sind das andere. Gewerkschaften beklagen Überlastung.

Es ist richtig, dass Mitarbeiter, die aus der Krise herauskommen und so lange keine Beschäftigung hatten und nun einen so raschen Hochlauf erleben, einer besonderen Belastung ausgesetzt sind. Das bestreitet keiner. Da muss ich der Belegschaft in Frankfurt ein Riesenkompliment machen, wie die hier jeden Tag ihr Bestes geben.

Da muss ich der Belegschaft in Frankfurt ein Riesenkompliment machen, wie die hier jeden Tag ihr Bestes geben.

So kann es aber nicht bleiben.

Das wird sich normalisieren, wenn auch die Flugpläne wieder ins Lot kommen und die aktuell noch extremen Tagesspitzen wieder abflachen. Ich gehe für das nächste Jahr davon aus, dass wir wieder zur gewohnten Pünktlichkeit im Gesamtsystem kommen.

Ein spezielles Thema für Flughäfen sind die Sicherheitskontrollen. Wie wollen Sie diesen offensichtlichen Engpass lösen?

Hier in Frankfurt funktionieren die Sicherheitskontrollen in diesem Jahr gut. Die Wartezeiten sind mit zehn bis 15 Minuten moderat, das können im Extremfall auch mal 30 Minuten sein. Daran sehen Sie aber, wie unterschiedlich die Situation an den Flughäfen ist, wenn wir an Köln, Düsseldorf, Amsterdam oder auch London denken.

Zum 1. Januar 2023 überträgt der Bund nun Fraport die Gesamtverantwortung für die Kontrollen am Flughafen Frankfurt. Was erhoffen Sie sich davon?

Wir sind seit Jahren mit dem Bund und der Bundespolizei im Gespräch. Vom Boarding bis zur Gepäckaufgabe ist schon vieles digitalisiert. Aber die Sicherheitskontrollen sind noch weitgehend manuell. Da gab es in der Vergangenheit mitunter lange Wartezeiten und eine hohe Unzufriedenheit der Passagiere. Deswegen wollten wir in die Verantwortung. Wir glauben, dass wir unser Knowhow als Flughafenbetreiber auch in diese Prozesse zielführend einbringen können.

Warum?

Moderne Technologie können wir passgenauer für unseren Flughafen einsetzen, zum Beispiel in der Anordnung der Abfertigungsanlagen. Das ist schließlich unser originäres Geschäft. Und wir sind flexibler in den Ausschreibungen, wo der Bund etwa durch das Haushaltsrecht gebunden ist. Und: Im Tagesgeschäft wissen wir am besten, wo und wie viele Kontrollspuren geöffnet sein sollten.  

Im Tagesgeschäft wissen wir am besten, wo und wie viele Kontrollspuren geöffnet sein sollten.

An Flughäfen sind viele Tätigkeiten an Fremdfirmen outgesourct. Gepäckverladung etwa oder eben auch die Sicherheitskontrollen. Selbst Shopping und Gastronomie sind kein Fraport-Geschäft, nur die Vermietung der Räume. Das macht die Organisation sehr komplex. Ist das auch einer der Gründe dafür, warum es an Flughäfen zuweilen so hakt?

Es geht nicht nur um Flughäfen. Wie Luftfahrt organisiert ist, das haben im Grundsatz Regierungen und die EU-Kommission festgelegt. Und die wollten über die letzten 20 bis 30 Jahre ganz bewusst mehr Wettbewerb in das System bringen. Da ist wohl nicht entscheidend, ob wir die Gastronomie betreiben.

Sondern ….

…. eher die Fragen: Haben Airlines die richtigen Piloten am passenden Ort? Hat die Flugsicherung genug qualifiziertes Personal und natürlich auch wir in der Gepäckabfertigung? Es ist ein hoch vernetztes Produkt über Ländergrenzen hinweg, das an vielen Punkten derzeit unter Stress steht. Und im Moment haben wir einfach nicht die Puffer drin, die wir bräuchten, um Engpässe immer wieder aufzufangen.

Kann die Branche die Probleme allein lösen, brauchen Sie Hilfe vom Staat?

Viele Themen können die Branchenplayer gemeinsam lösen. Aber eben nicht alle. Und genau dort brauchen wir staatliche Unterstützung. Zwei Beispiele: Der europäische Luftraum ist seit vielen Jahren ein Engpass. Wir fliegen nicht geradeaus, wir fliegen nicht die kürzesten Wege, wir haben viele Limitierungen im Luftraum. Hier kommt bislang die politische Initiative „Single European Sky“ nicht voran. Das war schon vor der Pandemie so. Auch bei der Ausgestaltung des EU-Klimaschutzprogramms Fit for 55 ist eine wettbewerbsneutrale Ausgestaltung extrem wichtig für die europäische Luftverkehrswirtschaft.

Wir fliegen nicht geradeaus, wir fliegen nicht die kürzesten Wege, wir haben viele Limitierungen im Luftraum. Hier kommt bislang die politische Initiative „Single European Sky“ nicht voran.

Und die staatliche Zuverlässigkeitsprüfung für neue Flughafen-Beschäftigte läuft eher im Schneckentempo.

Da kann ich die Hessen loben. Wir haben hier Zeiten von weniger als zwei Wochen. In anderen Bundesländern dauert das sechs bis acht Wochen. Wo wir die Politik auch stark brauchen, ist die Zuwanderung. Wir werden uns deutlich öffnen müssen, um den Bedarf an Arbeitskräften in Deutschland decken zu können. Und das gilt nicht nur für hochspezialisierte Ingenieure und IT-Experten, sondern auch für ganz normale Arbeitskräfte. Da brauchen wir dringend einen gesetzlichen Rahmen.

Unterm Strich, Herr Schulte: Wird die Abfertigung teurer? Neue Technik, aufwändige Anwerbung neuer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

Ja. Wir sehen ein Inflationsumfeld, wir sehen Arbeitskräftemangel. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden künftig mehr Geld verdienen. Und wir müssen nachhaltiger werden. Sustainable Fuels machen den Luftverkehr teurer.

Sie haben die Flughafengebühren im vergangenen Jahr um 4,3 Prozent erhöht. Was steht für dieses Jahr an?

Wir sind in Konsultationen. Ich gehe davon aus, dass wir auch 2022 eine Erhöhung sehen werden. Sie wird moderat bleiben.

Die Sommerreisewelle an vielen Flughäfen hat einen anderen Dauerbrenner verdrängt, Fliegen soll klimaneutraler werden. Rückt das Thema erst mal in die zweite Reihe?

Nein, auf keinen Fall. Wir haben auch in der Krise alle Aktivitäten fortgesetzt, um so schnell wie möglich CO2-frei zu werden. Da kann ich für die gesamte Branche sagen, wir müssen das schaffen, weil die Kunden es von uns erwarten.

Konkret?

Wir wollen, dass die EU-Kommission eine Beimischungsquote für Sustainable Fuels verbindlich festsetzt. Es ist phänomenal, dass sich die gesamte Branche so eindeutig dazu geäußert hat. Die Flughäfen in Europa haben sich klar dazu bekannt, schon vor 2050 und zwar 2045 CO2-frei zu werden.

Wir wollen, dass die EU-Kommission eine Beimischungsquote für Sustainable Fuels verbindlich festsetzt.

Und Fraport im Speziellen?

Im letzten Jahr haben wir einen Vertrag unterschrieben, um gemeinsam mit dem Energieversorger EnBW im großen Umfang Strom aus einer neuen Offshore-Windkraftanlage zu nutzen. Den Strom, den wir trotz Einsparungen noch brauchen, wollen wir in wenigen Jahren CO2-frei beziehen. Aktuelles Ziel ist es, von einst 300 000 Tonnen CO2 bereits bis 2030 auf 75 000 Tonnen herunterzukommen. Wir planen zudem zahlreiche Photovoltaikanlagen am Flughafen. Wir müssen runter und wir wollen runter. Und da wird kein Cent gespart.

Aktuelles Ziel ist es, von einst 300 000 Tonnen CO2 bereits bis 2030 auf 75 000 Tonnen herunterzukommen.

Luftverkehr und damit die Flughäfen stehen in einem internationalen Wettbewerb. Was erwartet der Fraport-Chef von Brüssel, um ein Level Playing Field für die europäischen Flughäfen zu sichern?

Das Wichtigste ist, dass wir verbindliche Beimischungsquoten für nachhaltige Treibstoffe bekommen. Es gibt erste Anzeichen, dass die Kommission unser Problem versteht. Es kann ja nicht sein, dass Sie bei einem Flug von Hamburg über Instanbul nach Singapur nur auf der ersten Strecke Sustainable Fuels tanken müssen und von Hamburg über Frankfurt nach Singapur auf der gesamten Strecke. Das würde am Ende dem Luftverkehr in Europa schaden, weil Drehkreuze außerhalb Europas begünstigt werden.

Was signalisiert Brüssel im Detail für die Beimischungsquoten?

Es gibt inzwischen wohl den Vorschlag einer Revisionsklausel. Das ist nicht ganz, was wir möchten, denn es bedeutet lediglich, dass man sich in ein paar Jahren ansehen will, ob und wie sich Marktanteile verschoben haben. Dann ist der Schaden schon eingetreten.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Wir plädieren für eine endzielbezogene Luftverkehrsabgabe. So schaffen wir einen Ausgleich zwischen denen, die sich einen schlanken Fuß gemacht und denen, die für die gesamte Strecke Sustainable Fuel getankt haben.

Wir plädieren für eine endzielbezogene Luftverkehrsabgabe.

Zum Abschluss Herr Schulte hätten wir gern noch eine Einschätzung von Ihnen zum Thema Mobilität der Zukunft: Welches Potenzial räumen Sie neuem Fluggerät wie beispielsweise den Flugtaxen von Volocopter oder den Elektrofliegern von Lilium ein?

Sie werden einen Markt finden. Ich würde vermuten, dass der Markt mit seinen Metropolen in Fernost viel größer ist als hier in Europa. Hierzulande könnten solche Shuttle-Dienste für nicht so gut angebundene Regionen interessant sein. Wir sind in Deutschland aber nicht immer die Early Adopter und brauchen lange für die Regulierung. Bis auf einzelne Pilotprojekte sehe ich bei uns eher in zehn Jahren als in fünf Jahren Bewegung bei dem Thema.

Richtet sich Fraport darauf ein?

Ja, wir bereiten uns darauf vor. Unser Knowhow ist gefragt. Wir haben Pläne in der Schublade, die wir jederzeit ziehen können.

Die „DVFragt nach-Interviews“ geben die Meinung der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner wieder.