Christina Zimmermann

"Für schnellere Genehmigungen ist die Digitalisierung der Behörden unabdingbar."

Christina Maria Zimmermann studierte an der RWTH Aachen Bauingenieurwesen mit dem Schwerpunkt konstruktiver Ingenieurbau. Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst in der Schweiz bei der Flückiger + Bosshard AG in Zürich im Hoch-, Brücken-​ und Ingenieurbau. Anfang 2015 wechselte sie zu Schüßler-​Plan und verantwortete dort als Projektleiterin verschiedene Hoch- und Ingenieurbauwerke von der Entwurfs-​ bis zur Ausführungsplanung. 2018 wurde sie Gesellschafterin der Schüßler-​Plan GmbH. Seit 2020 ist sie Geschäftsführende Gesellschafterin der Schüßler-​Plan GmbH sowie Geschäftsführerin der Schüßler-​Plan Ingenieurgesellschaft Düsseldorf mbH. Seit April 2023 ist Zimmermann Präsidiumsmitglied im DVF. Wir wollten wissen, wie die Ingenieurin die Aussichten einschätzt, den Verkehrswegebau in Deutschland zu beschleunigen. Was machen andere Länder besser, wo können wir lernen und wie schätzt sie die Chancen auf Erreichung des Ziels der Klimaneutralität ihrer eigenen Branche ein?

Copyright: Schüßler-Plan / Dawin Meckel
Copyright: Schüßler-Plan / Dawin Meckel

Frau Zimmermann, die Bauwirtschaft steckt in einer Krise, vor allem der Wohnungsbau. Wie sieht es bei der Infrastruktur aus?

Da haben wir in den nächsten Jahrzehnten große Aufgaben vor uns. Eigentlich eine gute Ausgangslage. Es gibt den Markt. Infrastruktur ist weitgehend staatliches Terrain. Und der Staat hat sich einiges vorgenommen.

Haben wir überhaupt die Kapazitäten, um Straßen, Schienen- und Wasserwege zu sanieren und gleichzeitig große Neubauvorhaben anzuschieben?

Die Frage nach den Kapazitäten, ob finanziell oder personell, die dürfen wir uns gar nicht stellen. Wenn wir unsere Wirtschaftskraft in Deutschland aufrechterhalten wollen, ist Mobilität der entscheidende Motor. Jeder Euro, der in die Infrastruktur gesteckt wird, rechnet sich mehrfach, weil er wirtschaftliches Wachstum erzeugt. Neben der Bestandserhaltung hat der Neubau eine essenzielle Bedeutung für die Zukunft des Landes. Die interessante Frage lautet, wie wir den Weg dahin besser und schneller gestalten.

"Jeder Euro, der in die Infrastruktur gesteckt wird, rechnet sich mehrfach, weil er wirtschaftliches Wachstum erzeugt."

Es scheitert nicht am Geld, meinen Sie?

Finanzierung ist nicht das Thema.

Verkehrsminister Volker Wissing hat gerade allein 40 Milliarden Euro extra für die Erneuerung und den Ausbau der Eisenbahn in Deutschland angekündigt. Schaffen wir es, das umzusetzen?

Wir sehen ja jetzt schon, wie jedes Jahr Millionen an Finanzmitteln nicht abgerufen oder an die Aufgabenträger zurückgegeben werden. Wir können uns natürlich immer fragen, ob die bereitgestellten Mittel genug sind für die theoretisch anstehenden Aufgaben. Tatsächlich aber müssen wir Genehmigungs-, Planungs- und Ausführungsprozesse beschleunigen, um den Berg aus Sanierungsstau und Neubauvorhaben abzuarbeiten.

Zum Beispiel durch ….

…. den Einsatz innovativer Planungsmethoden wie Parametrischem Design. 

Eine Art künstlicher Intelligenz?

Wenn wir beispielsweise eine Verkehrstrasse planen, bietet diese Technik eine Vielzahl von Möglichkeiten an, diese Trasse möglichst optimiert durch das vorgegebene Gebiet zu legen und dabei im Sinne der Ressourcenschonung Material zu sparen. Von Hand könnte man nur eine viel geringere Anzahl an Varianten durchspielen, ohne zwingend die beste zu finden. Effizienz geht aber auch mit Standardisierung Hand in Hand. Die staatlichen Auftraggeber müssen sich zur Standardisierung bekennen. So ließe sich ein großer Teil unserer Leistungen auch mit weniger Personal oder zumindest in kürzerer Zeit erbringen.

"Die staatlichen Auftraggeber müssen sich zur Standardisierung bekennen. So ließe sich ein großer Teil unserer Leistungen auch mit weniger Personal oder zumindest in kürzerer Zeit erbringen."

Was lässt sich standardisieren?

Wir entwickeln gerade Brückentypen, die eine standardisierte Planung für bestimmte Spannweiten zulassen und so zu einer effizienteren Planung sowie kürzeren Genehmigungsprozessen führen. Wir müssen uns zudem darum kümmern, wie wir bauen. Modulare Bauweisen, wie sie zuletzt unter dem Begriff Lego-Brücken bekannt geworden sind, reduzieren Bauzeiten erheblich. Es geht also nicht nur um Innovation in der Planung, sondern auch im Bauprozess. Im Hinterkopf müssen wir dabei immer haben, den laufenden Verkehr so wenig wie möglich einzuschränken.

Die Deutsche Bahn setzt jetzt auf Bündelung, sperrt ganze Strecken für Monate.

Das unterstützen wir. Nach dem Motto: Wenn ich schon mal eine Sperrpause für diesen Abschnitt anordne, dann macht es doch Sinn, Synergien zu schaffen und alle geplanten Bauvorhaben gleichzeitig durchzuziehen.

Bei der Bahn hat der Verkehrsminister sein Okay gegeben. Sind denn alle Entscheidungsträger bereit, neue Wege im Infrastrukturbau mitzugehen?

Das werden die nächsten Jahre zeigen. Wir müssen mehr auf Wettbewerb setzen, zum Beispiel durch Erleichterung bei der Wertung von Sondervorschlägen. Neue Vertragsformen wie Partnerschafts- und Allianzmodelle bieten die Möglichkeit einer frühen Einbindung auch der ausführenden Parteien in die Projektentwicklung. Wir versprechen uns von diesen neuen Vertragsmodellen nicht nur eine Qualitätssteigerung und Beschleunigung der Prozesse, sondern auch einen Wandel in der Kultur des Miteinanders. Damit schaffen wir gemeinsam die Möglichkeit, neue Wege im Infrastrukturbau zu gehen.

"Neue Vertragsformen wie Partnerschafts- und Allianzmodelle bieten die Möglichkeit einer frühen Einbindung auch der ausführenden Parteien in die Projektentwicklung."

Einige Bauprojekte verzögern sich nicht, weil schlecht geplant wird, sondern weil Arbeitskräfte fehlen. Wie lösen wir das Problem?

Neben dem Planungsprozess muss insbesondere auch der Genehmigungsprozess wesentlich schneller werden. Zusätzlich müssen der Beruf und die Baubranche attraktiv bleiben. Wir erleben leider eine Negativstimmung gegen viele Verkehrsprojekte und auch gegen die Branche generell. Und das geschieht nicht nur, aber auch wegen der befürchteten Auswirkungen auf die Umwelt. Dabei sollten sich alle bewusst sein, dass die Baubranche den Spagat zwischen Fortschritt und Nachhaltigkeit schaffen muss. Nur wenn wir attraktiv sind, werden wir Studierende an die Universitäten bekommen. Hierfür ist es auch wichtig, Theorie und Praxis so zu vereinen, dass wir voneinander profitieren. Wir sehen uns als Unternehmen in der Pflicht, die Unis zu unterstützen. Davon abgesehen: Der Ausbildungsprozess endet nicht mit dem Abschluss an der Uni.

"Dabei sollten sich alle bewusst sein, dass die Baubranche den Spagat zwischen Fortschritt und Nachhaltigkeit schaffen muss."

Der Staat ist bei Straßen, Schienen- und Wasserwegen größter Auftraggeber, gilt aber zugleich als größter Bremser. Wo sehen Sie das größte Hindernis?

Da gäbe es Vieles zu nennen. Der Mangel an bundeseinheitlichen Standards etwa. Den spüren wir derzeit vor allem bei der Beurteilung von Umweltauflagen. Gleiche Grundlagen führen nicht zu gleichen Schlussfolgerungen. Gleiche Fragen führen nicht in jedem Landkreis zu den gleichen Antworten. Bundesweit einheitliche Regelungen wären da sehr hilfreich, um Planungen und Genehmigungen zu beschleunigen.

Selbst das würde kaum etwas bringen, wenn die Verwaltungen zu wenig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben.

Das ist richtig. Für schnellere Genehmigungen ist die Digitalisierung der Behörden unabdingbar. Deshalb versuchen wir auch, mit den Auftraggebern ins Gespräch zu kommen und für neue Planungsmethoden, flache Entscheidungshierarchien und auch neue Bauvertragsformen zu werben.

"Für schnellere Genehmigungen ist die Digitalisierung der Behörden unabdingbar."

Bund und Länder geben sich derzeit große Mühe, zu Vereinfachungen zu kommen und damit den Bau zu beschleunigen. Was würden Sie als Erstes beschließen?

Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wären es einfachere Strukturen sowie eine effektivere und transparentere Bürgerbeteiligung.

Bürgerbeteiligung gilt vor allem bei Infrastrukturprojekten als große Hürde.

Frühzeitige Bürgerbeteiligung ist ein gutes Mittel, um Akzeptanz zu erreichen. Gerade bei Verkehrswegen. Da könnten wir uns einiges in Nachbarländern abschauen.

Etwa…?

… in der Schweiz. Die Projekte werden frühzeitig vorgestellt, die Bürger*innen nach ihrer Meinung gefragt. Und wenn sie es wollen, dann ist es entschiedene Sache. Da gibt es nicht diese ewigen Schleifen und rechtlichen Verfahren wie hierzulande, die ein Projekt in die Länge ziehen oder sogar lahmlegen können. Entscheidungen sollten schnell und unter Einbeziehung der Bevölkerung getroffen werden. Und dann muss es irgendwann einen Schlussstrich geben.

Die Bundesregierung arbeitet gerade an Ideen zur Planungsbeschleunigung.

Unter anderem mit Vorschlägen, die Bürgerbeteiligungen zu flexibilisieren. Davon bin ich keine Verfechterin. Wir sollten nicht noch mehr Türchen öffnen und noch mehr Variabilität in das System bringen.

"Wir sollten nicht noch mehr Türchen öffnen und noch mehr Variabilität in das System bringen."

Widerstand von Bürgern und Bürgerinnen spielt beim Bau von Verkehrswegen wie auch bei anderen Infrastrukturvorhaben eine große Rolle. Gegen die Fehmarnbelt-Querung wurden in Deutschland 12.600 Einwendungen gemacht, in Dänemark 43. Der wichtige SuedLink zum Transport von Windstrom vom Norden nach Bayern ist um Jahre verzögert. Hilft da ein Mehr an Beteiligung?

Auf jeden Fall ist es wenig hilfreich, wenn man nur oberflächlich informiert. Akzeptanz bekommt man durch Transparenz und Ehrlichkeit. Wir als Ingenieur*innen haben berufsbedingt einen gewissen Weitblick. Und es ist verständlich, dass eine Baumaßnahme vielleicht erstmal ein Störfaktor, auf lange Sicht aber durchaus berechtigt ist. Die Menschen müssen verstehen, warum das geplante Bauvorhaben für die Allgemeinheit und auch für sie persönlich sinnvoll ist. Zum Beispiel können moderne Visualisierungen mit VR-Brillen die Menschen viel gezielter abholen als lediglich ein Grundriss der geplanten Maßnahme. Die aktuell eher ablehnende Haltung sollten wir nicht so hinnehmen, sondern uns fragen: machen wir da gerade alles richtig?

"Akzeptanz bekommt man durch Transparenz und Ehrlichkeit."

Die „DVFragt nach-Interviews“ geben die Meinung der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner wieder.