Klinkner "Notwendige Trendwende beim Bundeshaushalt 2023 bleibt aus"
04.07.2022
- Verkehrsinfrastruktur wird ausgebremst, Kostensteigerung nicht ausgeglichen
- Zukunftsinvestitionen bei Straße, Schiene und Wasserstraße unterbleiben
- Nach wie vor keine Planungssicherheit für Unternehmen
Berlin, 4. Juli 2022 – Der Vorsitzende des Präsidiums des Deutschen Verkehrsforums Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner sieht mit Sorge auf den Kabinettsbeschluss zum Bundeshaushalt 2023: „Die Bundesregierung hat bereits mit dem Haushalt des laufenden Jahres versäumt, die Finanzmittel für Erhalt und Modernisierung unserer Verkehrsinfrastruktur massiv aufzustocken. Für 2023 wurden wichtige Zukunftsinvestitionen angekündigt, die jedoch im vorgelegten Regierungsentwurf erneut unterbleiben. Angesichts gestiegener Baupreise werden die Investitionen sogar real heruntergefahren. Damit steht fest, dass der Verfall unserer Straßen, Schienen, Brücken und auch Schleusen weiter voranschreitet. Auch die dringend notwendige Digitalisierung der Verkehrswege bleibt auf der Strecke. Die Finanzplanung lässt zudem nicht erkennen, dass sich dieser Trend umkehrt. Das ist fatal, denn Verkehrsunternehmen, Logistikbranche und Bauwirtschaft brauchen jetzt verlässliche positive Signale, dass Deutschland für die Zukunft vorbaut, damit sie ihren Beitrag dazu leisten können. Dazu gehört in erster Linie eine langfristig verbindliche und transparente Finanzplanung für Straßen, Schienennetz und Wasserwege, ebenso wie für digitale Netze und die Strom- und Ladeinfrastruktur.“
Klinkner betonte allerdings, dass im Haushaltsentwurf auch viele gute Ansätze weitergeführt werden sollen. So werde die Verkehrswirtschaft von den Lasten der EEG-Umlage befreit, die Förderkulissen für die Elektromobilität würden fortgeschrieben und Investitionen in Radwege und in LNG-Infrastruktur getätigt. Insgesamt sei jedoch mit diesem Etat nicht der richtige Kurs eingeschlagen, um die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen, die Verkehrswende einzuläuten und das verkehrliche Rückgrat für Europas Mobilität zu stärken. Klinkner mahnt: „Förderprogramme und Anreize für nachhaltige Mobilität können ihre Wirkung nur entfalten, wenn die Infrastrukturen dafür in einem guten Zustand sind. Diese Perspektive fehlt im Bundeshaushalt 2023 leider. Da müssen Bundestag und Bundesregierung im laufenden Verfahren nachbessern.“
Mit Blick auf den immer noch fehlenden Etat für den Klima- und Transformationsfonds (zuvor Energie- und Klimafonds) fordert das DVF die Bundesregierung auf, die Finanzierungslinie für nachhaltige Antriebe und Kraftstoffe und den Aufbau der Versorgungsinfrastruktur auszubauen und auf sehr hohem Niveau zu halten. Der Mobilitätssektor benötigt Planungssicherheit und einen starken flankierenden Rahmen, um die Transformation zu schaffen.
Zudem fordert das DVF angepasste moderne Finanzierungsstrukturen, die ein gesundes Verkehrsnetz braucht. Es geht darum, wie für jeden eingesetzten Euro mehr und bessere Straßen, Schienen und Wasserstraßen gebaut und modernisiert werden können. Das DVF hat dazu umfassende Vorschläge unterbreitet, die die Finanzierung reformieren und zu mehr Effizienz und Qualität führen.
Die Bewertung des DVF im Einzelnen:
Erhalt / Ausbau der Verkehrsinfrastruktur: Der Bundeshaushalt sieht für Erhalt und Ausbau der Verkehrswege keine höheren Finanzmittel vor, in einigen Bereichen sinken sie sogar. Die Kostensteigerungen für Bauleistungen und Baustoffe spiegeln sich nicht im Haushalt wider. Damit sinken die real verfügbaren Mittel noch weiter:
- Bundesfernstraßen: Die Mauteinnahmen steigen um 660 Mio. Euro, die Ausgaben insgesamt nur knapp um 200 Mio. Euro. Die Mittel der Gesamtposition für Planung, Bau, Erhaltung und Betrieb der Bundesfernstraßen steigen lediglich um 38 Mio. Euro auf 11,48 Mrd. Euro. Für den Erhalt der Bundesstraßen werden mit 1,31 Mrd. Euro rund 18 Mio. Euro mehr bereitgestellt. Für Investitionen in die Bundesfernstraßen werden 5,5 Mrd. Euro veranschlagt, das sind 38 Mio. Euro oder ein knappes Prozent mehr als im laufenden Jahr 2022.
- Bundesschienenwege: Die Mittel für den Erhalt des Bestandsnetzes in der LuFV sinken deutlich auf 4,6 Mrd. Euro (-625 Mio. Euro), die Baukostenzuschüsse steigen gerade einmal um 100 Mio. Euro auf 2 Mrd. Euro. Die Verpflichtungsermächtigungen für den Bedarfsplan bis 2040 betragen insgesamt gerade einmal 6,8 Mrd. Euro. Das sind im jährlichen Durchschnitt lediglich 425 Mio. Euro. Dies passt nicht zu den Absichtserklärungen im Klimaschutzsofortprogramm. Die bereitgestellten Mittel für die Digitalisierung sinken ebenfalls von 612 auf 533 Mio. Euro. Für die Projekte im Deutschlandtakt werden 47 Mio. Euro zusätzlich bereitgestellt aber mit einer Sperre versehen. Auch die für den Schienengüterverkehr wichtigen Haushaltstitel werden abgesenkt. So sinken die Mittel für das Bundesprogramm „Zukunft Schienengüterverkehr“ um 10 Mio. Euro.
- ERTMS: Die Mittel für die Digitalisierung der Schiene (Digitale Schiene Deutschland DSD) sinken um knapp 80 Mio. Euro. Der flächendeckende Roll-out wird ausgebremst, bevor er starten konnte. Die Verpflichtungsermächtigungen bis 2032 betragen 1,99 Mrd. Euro insgesamt. Das ist der Betrag den die DSD jährlich bräuchte.
- Schienenpersonennahverkehr: Der Anstieg der Regionalisierungsmittel von 9,744 Mrd. Euro auf 10,254 Mrd. Euro wird der deutlich erhöhten Nachfrage, die das 9-Euro-Ticket früher anreizt als geplant, infrastrukturseitig nicht gerecht.
- Bundeswasserstraßen: Die Wasserstraßen sind in 2023 um 360 Mio. Euro unterfinanziert. Die Mittel für den Erhalt von Wasserstraßen und Schleusen steigen leicht um 19 Mio. Euro gegenüber dem Vorjahr auf 279 Mio. Euro, liegen aber deutlich unter dem IST in 2021 von 331 Mio. Euro. Die Investitionen für Ersatz/Aus-/Neubau sinken von 909 auf 594 Mio. Euro. Die bereits geringen 10 Mio. Euro aus 2022 zur Förderung der Verkehrsverlagerung von Schwertransporten auf die Wasserstraße werden gesperrt und auf 2 Mio. Euro reduziert. Die Verwaltungs- und Personalausgaben der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) stagnieren: 985 Mio. Euro in 2023 gegenüber 968 Mio. Euro in 2022.
Digitalisierung: Für die Digitale Infrastruktur steigen die Gesamtausgaben um fast 750 Mio. Euro auf rund 1,2 Mrd. Euro. Dennoch fehlen gerade für die einzelnen Verkehrsträger wichtige Zukunftsimpulse:
- Digitalisierung der Verkehrsträger: Die digitalen Testfelder für die einzelnen Verkehrsträger werden zurückgefahren, insbesondere im Bereich Wasserstraße und Häfen. Ebenso fehlen Mittel für die Lokumrüstung im Zuge der DSD oder für die Digitalisierung im Straßenverkehr, etwa für einen digitalen Zwilling oder die automatisierte Datenerfassung.
- Mobilfunk: Positiv sind Projekte wie die Förderung weiterer 5G-Testfelder und die Beteiligung an der Entwicklung von softwaregesteuerter Mobilfunktechnologie.
- Breitbandausbau: Der Breitbandausbau wird im Budget gegenüber 2022 erheblich aufgestockt auf das Niveau von 2021. Hier muss sich die Förderstrategie des Bundes beweisen, damit die Mittel auch de facto zu einer Stärkung des Digitalstandortes beitragen.
- Building Information Modelling: Hier steigt das Budget für das Kompetenzzentrum gegenüber 2021 leicht an. Wichtig wäre hier eine Finanzierung der Gemeinden zum Ausbau digitaler Schnittstellen und Schulung der Mitarbeiter*innen.
- Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme: Mit dieser Position wird ein in der Vergangenheit erfolgreiches Förderprogramm mit 62 Mio. Euro und Verpflichtungsermächtigungen von 74 Mio. Euro neu aufgesetzt. Gerade vor dem Hintergrund des großen Nachholbedarfes plädiert das DVF hier für eine Flankierung mit einem bürokratiearmen De-minimis-Programm "Digitalisierung der Mobilität".
Nachhaltigkeit Luftverkehr: Der Luftverkehrssektor muss den Wiederhochlauf aus der Corona-Krise und die Klimatransformation bewältigen. Die Förderung wächst nicht im selben Umfang wie die Herausforderungen.
- Förderung für Luft- und Raumfahrt sinkt von 2,481 Mrd. Euro auf 2,422 Mrd. Euro.
- Der Haushaltsentwurf enthält, soweit ersichtlich, kein Förderprogramm für klimaneutrale Flughäfen.
Nachhaltigkeit Schiffsverkehr: Auch der Schiffsverkehr steht vor großen Herausforderungen bei der Umstellung von Antrieben und Kraftstoffen. Die Bundesregierung fördert diesen Bereich, allerdings gibt es nicht in allen Bereichen Zuwächse.
- Binnenschifffahrt Motorenmodernisierung 50 Mio. Euro in 2023 vs. 40 Mio. Euro in 2022
- Modernisierung Küstenschifffahrt 20 Mio. Euro in 2023 vs.12 Mio. Euro in 2021
- F&E-Unterstützung für maritime Technologien sinkt leicht, von 62 Mio. Euro in 2022 auf 60 Mio. Euro in 2023
- Förderung Innovativer Schiffbau steigt von 33 auf 37 Mio. Euro
- Der Titel für LNG-Bunkerschiffe sinkt von 28 auf 23 Mio. Euro
Nachhaltigkeit Straße und andere Mobilitätssektoren: Die Bundesregierung unterstützt aktiv die Transformation des Straßenverkehrs. Allerdings gibt es Titel, die in diesem Bereich entfallen. Wichtig ist der Klima- und Transformationsfonds, der für 2023 noch nicht vorliegt.
- Zukunftsfonds Automobilindustrie steigt von 74,8 auf 81,6 Mio. Euro
- ZIP und regionale Cluster Autoindustrie von 330 auf 335 Mio. Euro
- Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie, Förderung alternativer Kraftstoffinfrastruktur: 76 Mio. Euro in 2023 vs. 73 Mio. Euro in 2022
- Laut Haushaltsentwurf entfällt der Titel für das Nationale Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie. 2022 waren dies 188 Mio. Euro
- Leider sinkt die Unterstützung für den Rad- und Fußverkehr: 405 Mio. Euro in 2023 vs. 642 Mio. Euro in 2022