Van Hoorn über Klimaziele: „Aktuelle Energiekrise ändert nichts an Notwendigkeit der Transformation“
DVF Parlamentarischer Abend
07.09.2022
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- Konsequent Ausbauziele für EE-Strom verfolgen
- Neue langfristige Finanzierungsgrundlagen für Verkehrsinfrastruktur etablieren
- Tank- und Ladepunkte, Wasserstoffwirtschaft, E-Fuels schnell und flächendeckend ausbauen
Berlin, 7. September 2022 – „Die kriegsbedingte Energiekrise ändert nicht die Klimaschutzstrategie im Verkehrssektor; sie schärft die Anforderungen an deren Umsetzung“, so die einleitenden Worte von DVF-Geschäftsführerin Dr. Heike van Hoorn beim Parlamentarischen Abend des DVF.
„Wenn wir keine Standortverlagerungen und keinen Verlust an Wertschöpfung wollen, dann können wir nur nach vorne gehen, nicht zurück“, argumentierte van Hoorn mit Blick auf die globalen Entwicklungen hin zur Elektromobilität, zu neuen Mobilitätsformen und Kraftstoffen. Die Bundesregierung müsse mit voller Kraft auf die Infrastruktur und die Versorgung mit sauberen Energien hinarbeiten, also auf flächendeckende Tank- und Ladepunkte, den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und E-Fuels sowie eine umfassende Digitalisierung und Modernisierung der Verkehrswege, forderte die DVF-Chefin. Unerlässlich sei zudem der konsequente Vollzug der Ausbauziele für EE-Strom, die Umsetzung der Planungs- und Baubeschleunigung für Windparks, Verteilnetze und Netzanschlüsse, ein massiver Bürokratieabbau und langfristige, verlässliche Finanzierungsgrundlagen für Verkehrsträger wie Schiene und Wasserstraße.
Ausbau Erneuerbare Energien entscheidend für Klimaeffekt
„Nur mit einer soliden und verlässlichen Verkehrsinfrastruktur können wir auch die Herausforderungen bei der Emissionsminderung im Verkehr meistern“, stimmte die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Freien Demokraten Carina Konrad MdB zu: „Die Trockenperiode mit gesunkenen Pegelständen auf den Flüssen und das 9-Euro-Ticket haben zusätzlich gezeigt, wo die Defizite in der Infrastruktur liegen. Diese gilt es schnellstmöglich auszubessern. Das heißt, zum Beispiel auch Abladeoptimierungen auf Schifffahrtsstraßen umzusetzen und Schienennetzkapazitäten auszubauen.“
Zudem setzte sich Konrad für Technologieoffenheit ein: „Für den Klimaschutz im Verkehrssektor bedeutet das konkret, dass wir aufhören müssen in ideologischen Schubladen zu denken und vor allem auf Innovationen und Technologieoffenheit setzen müssen.“ Neben der Elektromobilität müssten ihrer Ansicht auch innovative Antriebstechnologien und moderne Biokraftstoffe sowie E-Fuels im Straßenverkehr genutzt werden können.
Aus Sicht der Kraftstoffwirtschaft prognostizierte der Vorstandsvorsitzende Aral AG Patrick Wendeler die Entwicklung ebenfalls differenziert: „Auch wenn wir im Personenverkehr vornehmlich auf Elektromobilität setzen, ist für eine effektive CO2-Reduktion im Straßenverkehr eine breite Palette von Antriebstechnologien erforderlich. Hier spielen fortschrittliche Biokraftstoffe für die Reduzierung der CO2-Emissionen eine ebenso wichtige Rolle, wie kohlenstoffarmer Wasserstoff und batterieelektrische Lkw für den Schwerlastverkehr – bis zu ihrer Marktreife brauchen wir BioLNG und BioCNG als Brückentechnologien.“
Homeoffice, Videokonferenzen, Fahrten mit Fahrrad, Bus und Bahn statt Auto, Gütertransport auf der Schiene statt auf der Straße und schnellstmögliche Elektrifizierung waren für Stefan Gelbhaar MdB, Sprecher für Verkehrspolitik, Mitglied des Erweiterten Fraktionsvorstands Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, die wichtigen Hebel beim Klimaschutz: „Der Dreiklang für die Verkehrswende heißt Vermeidung, Verlagerung und Antriebswende. Alle drei Punkte müssen durchgespielt werden, um zu einer besseren und klimafreundlicheren Mobilität zu kommen.“ Auch Gelbhaar sah deshalb die Notwenigkeit für einen massiven und schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien, um unabhängig von fossiler Energie zu werden und den Klimaeffekt der Elektrifizierung zu intensivieren.
Elektrifizierung hat ihre Grenzen – Planungsbeschleunigung auch
Das beurteilte Thomas Heilmann MdB anders. Der Berichterstatter für den Bereich Mobilität in der AG Klimaschutz und Energie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sagte, dass die Transformationsziele im Verkehr nicht mit mehr Radverkehr oder mehr ÖPNV in der Stadt zu schaffen seien. Den Klimapfad von Paris könne man nur mit der Dekarbonisierung des Fernverkehrs auf der Straße erreichen. Auch in zehn Jahren werde der Großteil des Gütertransports nicht auf der Schiene, sondern auf der Straße abgewickelt werden. Daher sei die Straße der entscheidende Hebel. Ob der Straßengüterverkehr dann allein über Strom betrieben werden könne, sei fraglich.
Auch Uwe Brinks, Mitglied des Präsidiums DVF und Chief Executive Officer DHL Freight, DHL Freight Germany Holding GmbH sah das so. Die Elektrifizierung im Straßengüterverkehr sei nicht so leicht wie im Pkw-Bereich: „Eine der größten Herausforderungen bei batterieelektrischen Lkw ist – neben der Nutzlast und Reichweite – vor allem die Ladeinfrastruktur. Denn gerade auf der Langstrecke braucht es ein dichtes und effizientes Ladenetz. Das Thema ist aber deutlich komplexer als im Nahverkehr. Mit der Ladeinfrastruktur muss auch das Thema Stellplatzsituation an Bundesautobahnen gelöst werden.“ Pkw könnten leicht für den Zugang zur Ladesäule rangiert werden, mit einem 40 Tonner sehe das schon anders aus. „Es braucht also ganzheitlich gedachte Konzepte.“
Gleichwohl müssten laut Brinks verstärkt Teile des Güterverkehrs auf die Schiene und die Binnenschifffahrt verlagert werden, was ohne hohe Investitionen in die Infrastruktur nicht möglich sei. „Doch auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur für batterieelektrische Nutzfahrzeuge sowie die Entwicklung und Verfügbarkeit von alternativen Kraftstoffen und Technologien wie etwa Wasserstoff und Bio-LNG dürfen nicht vernachlässigt werden.“
Der Verkehrsinfrastrukturausbau stehe in Deutschland vor erheblichen Problemen, weil die Umsetzungsgeschwindigkeit im Vergleich zu anderen Ländern viel zu langsam sei, erklärte Michael Holzhey, Bereichsleiter Mobility & Rail, Ramboll Deutschland GmbH. Es fehle an Personal, Risikobereitschaft unter Wahrung der Rechtskonformität, und Unkonventionalität im Verwaltungshandeln: „Planungsbeschleunigung auf der gesetzlichen Ebene und ausreichende finanzielle Mittel sind wichtig – aber die noch entscheidenderen Hebel für eine wirksame Beschleunigung in der Infrastrukturpolitik liegen woanders, und zwar bei der Beseitigung der personellen Engpässe auf allen Ebenen der öffentlichen Hand sowie der Rückbesinnung auf Wagemut statt Bedenkenträgertum. Niemand kann hier von heute auf morgen den Schalter umlegen, aber wir müssen endlich damit anfangen, in die Gegenrichtung umzusteuern.“
Nachfolge für 9-Euro Ticket erwünscht
„Das 9-Euro-Ticket war die vermutlich beliebteste und eine der erfolgreichsten Maßnahmen des zweiten Entlastungspakets“, sagte Dorothee Martin MdB, Verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. „Die Bundesregierung möchte ein Nachfolgeangebot etablieren und stellt dafür 1,5 Milliarden Euro jährlich zusätzlich zur Verfügung. Als SPD-Fraktion setzen wir uns für einen Preis von 49 Euro und ermäßigt 29 Euro ein.“ Zusammen mit den Ländern wolle man sich auf eine 50:50 Finanzierung und die genaue Ausgestaltung einigen, so Martin weiter. „Daneben sind wir auch bei Ausbau und Sicherung des Angebots in der Pflicht.“
Aus der Praxis berichtete Ulf Middelberg, Sprecher der Geschäftsführung Leipziger Verkehrsbetriebe GmbH: „Das 9-Euro-Ticket war für viele Menschen eine starke Entlastung, eine tolle Werbeaktion und ein großes Bekenntnis der Politik zu Bus und Bahn. Die Aktion hat auch gezeigt, wie wichtig Infrastruktur und attraktive Mobilitätsangebote sind.“ Middelberg betonte, dass dieses Fundament der Verkehrswende nun eine ausreichende Finanzierung brauche, wie sie Bund und Länder versprochen haben, insbesondere angesichts der aktuellen Kostenentwicklung. Dabei sei es falsch, die Zahlungsbereitschaft von Kunden nicht zu adressieren, die durchaus vorhanden sei.