Stau in der Mobilitätsbranche: Bürokratie bremst Transformation, Digitalisierung und Kundenfreundlichkeit aus

DVF Parlamentarischer Abend

Stau in der Mobilitätsbranche: Bürokratie bremst Transformation, Digitalisierung und Kundenfreundlichkeit aus

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Berlin, 30. November 2022 – In Deutschland behindern bürokratische Prozesse massiv einen schnellen Um- und Ausbau der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastrukturen. Dies gefährdet nicht nur den Erhalt der infrastrukturellen Grundlagen, sondern auch die Erreichung der deutschen Klimaziele. „Wir können uns diese Ineffizienzen und Verzögerungen durch die Bürokratie nicht mehr leisten“, warnte Norbert Schüßler, Geschäftsführer Schüßler-Plan GmbH Ingenieurgesellschaft, bei einer DVF-Diskussionsrunde gestern Abend in Berlin. Er forderte, Verwaltungen als Arbeitgeber attraktiver zu machen, neue Vertragsmodelle wie ÖPP und Alliancing zu erproben, Bauordnungen und Datenschutzregeln zu vereinheitlichen und mit Vorschriften pragmatisch umzugehen.

„Bürokratieabbau wollen alle, in der Praxis ist es ein sehr kleinteiliges Geschäft. Wenn der Antrag für ein Windrad 14 Aktenordner füllt, dann muss man jede Reduktion um 10 Seiten einzeln erkämpfen“, betonte Dr. Ingrid Nestle MdB, Sprecherin für Klimaschutz und Energie der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie versicherte: „Wir haben da als Ampel schon viel erreicht und bleiben weiter dran.“

Andrees Gentzsch, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), verwies auf das LNG-Beschleunigungsgesetz, bei dem politischer Wille geholfen habe, dass alle an einem Strang ziehen. Der Forderung von Teilen der Wirtschaft und Politik, das LNG-Gesetz als Blaupause für andere Infrastrukturprojekte zu nutzen, erteilte Nestle jedoch eine Absage: „Das geht nur für ganz limitierte Einzelprojekte und würde als Standard auch mehr Probleme als Vorteile bringen.“ Sie verwies dagegen auf den Beschluss des Bundestages, wonach erneuerbare Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegen. Daran müssten sich jetzt alle Genehmigungen orientieren. Jedes Gesetz hingegen bringe neue Bürokratie.

Auf die Problematik verschiedener föderaler Ebenen verwies auch Norbert Schüßler. Es gebe 16 verschiedene Bauordnungen und Auslegung von Datenschutzregeln. Eine einheitliche Interpretation für Deutschland reiche aus, auch Musterzulassungen könnten den oft überforderten Kommunen helfen, schneller zu agieren. Die Digitalisierung von Prozessen sei ein wichtiges Element, um Verfahren einheitlicher und effektiver durchzuführen.

Dem stimmte Sascha Meyer, CEO, MOIA GmbH, zu. Zwar habe die Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes Ridepooling-Anbieter von Outlaws zu Experimentierern gemacht, kompliziert werde es jedoch bei der Zulassung in verschiedenen Kommunen, auch weil die Auslegungsspielräume groß seien: „In der Mobilität brauchen wir eine Regulierung, die innovative Geschäftsmodelle nicht nur ermöglicht, sondern fördert. Eine Vielzahl an beteiligten Stakeholdern im Planungs- und Genehmigungsprozess sowie eine undurchsichtige Rechtslage führen zu bürokratischer Komplexität. Wir brauchen Offenheit und Mut, die Methoden einer modernen Digitalwirtschaft in Angeboten, Datennutzung und Kundenansprache zu ermöglichen.

Boris Langerbein, Head of Collaboration & Cooperation der INTILION GmbH, betonte die Bedeutung der zielgerichteten Regulatorik über Sektorgrenzen hinweg: „Die Mobilitätswende ist eng verwoben mit der Energiewende, nur saubere Energie wird eine Mobilität der Zukunft ermöglichen. Dazu müssen Regulatorik und Gesetze so verändert werden, dass zum einen die Mobilität mit ihrem Verbrauchsverhalten bzw. dem Ladeverhalten bei E-Fahrzeugen einen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes liefern kann und dass zum anderen ein markt- und systemdienliches Zusammenspiel entsteht zwischen Erneuerbaren Energien, Zwischenspeicherung und bidirektionalem Lademanagement. Konkret heißt dies, Mobilität von morgen ist ein wertvolles Flexibilisierungselement im zukünftigen Energiesystem und die Flexibilität muss mit marktwirtschaftlichen Mechanismen wie variable Stromtarife oder Teilnahme am Regelenergiemarkt angeregt werden.“

Auf marktwirtschaftliche Mechanismen setzte auch Gentzsch im Bereich der Energieerzeugung. Der Gesetzgeber müsse den Rahmen setzen, aber dann den Markt machen lassen. Verschiedene Geschäftsmodelle müssten möglich sein. “Was wir brauchen sind Flächen, Tempo und mehr Markt. Weg vom Kleinklein hin zu Rahmenbedingungen, die der Innovationskraft der Unternehmen den erforderlichen Freiraum geben“, sagte Gentzsch.

Eine wichtige Rolle in der Diskussion spielte das Thema des Mindset in Verwaltungen und Politik. Die Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass ein politischer Wille, gemeinsames Vorgehen und eine höhere Risikobereitschaft in den Verwaltungen bei der Genehmigung von Vorhaben notwendig seien. Während Dr. Nestle forderte, dass die Politik ihre eigenen Ziele ernstnehmen müsse, erinnerte Schüßler an das selbst gesetzte Ziel der Regierung, die Planungs- und Genehmigungszeiten zu halbieren. Andrees Gentzsch betonte, dass dies einen integrierten Ansatz erfordere, der stärker projektorientiert und über Behördengrenzen hinweg arbeite.