Stellungnahme zum Entwurf der Nationalen Wasserstoffstrategie

Das Deutsche Verkehrsforum begrüßt den Entwurf der Nationalen Wasserstoffstrategie. Die Strategie sollte zügig und konsequent umgesetzt werden. Das DVF steht dafür als Unterstützer und Dialogpartner bereit.
Grundsätzlich festzuhalten ist die herausragende Bedeutung der batterieelektrischen Mobilität für die rasche Senkung der CO2-Emissionen. Der Hochlauf der Elektromobilität im Straßenverkehr muss beschleunigt werden – insbesondere durch den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Eine ebenso hervorgehobene Bedeutung für den Klimaschutz hat der elektrifizierte Schienenverkehr, auf dessen Ausbau die Bundesregierung zu Recht ein hohes Gewicht legt. Neue Optionen wie die Fahrleitungselektrik für Lkw sind zu berücksichtigen.
Neben der direkten Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien (EE-Strom) ist der Einsatz von grünem Wasserstoff notwendig, um den Verkehr umfassend und langfristig auf eine nicht-fossile Grundlage zu stellen. Deshalb ist es richtig, dass die Zielsetzung der klimaneutralen Mobilität in der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung an die erste Stelle gerückt wird. Der Verkehr wird im Spektrum der Nachfrager von Wasserstoff und seiner Folgeprodukte eine wichtige Rolle spielen. Im Mittelpunkt der Strategie muss grüner Wasserstoff stehen.
Die erforderlichen Elemente sind im Entwurf der Strategie zutreffend formuliert:

  • grünen Wasserstoff in den erforderlichen Mengen verfügbar machen und Kosten senken
  • exportfähige innovative Technologien entwickeln
  • Nutzung von Wasserstoff insbesondere für den Verkehr anregen
  • Rahmenbedingungen für die schnelle Anpassung der Versorgungsinfrastruktur schaffen
  • internationale Kooperationen etablieren und Märkte aufbauen.

Die langfristig entscheidende Herausforderung ist die Bereitstellung der nötigen Mengen an grünem Wasserstoff zu konkurrenzfähigen Preisen. Kurz- und mittelfristig sollte die Bundesregierung die Produktionstechnologie für Wasserstoff in Deutschland anschieben und über den forcierten Ausbau erneuerbarer Energien unterstützen. Blaupausen und Demonstratoren für diesen zukünftig wichtigen Wirtschaftszweig sollten hier entstehen. Die langfristig notwendige Kapazität und Wirtschaftlichkeit wird sich aber nur durch Investitionen im internationalen Maßstab erreichen lassen.
Ebenso brauchen die Hersteller und Nutzer im Verkehrssektor einen wirkungsvollen und verlässlichen Rahmen, um den Wasserstoff-Pfad erfolgreich zu entwickeln. Die Nutzung von Wasserstoff kann durch Brennstoffzellen, E-Fuels oder konventionelle Verbrennung erfolgen. Grüner Wasserstoff ist besonders für die Langstreckenmobilität ein erfolgversprechender Energieträger. E-Fuels sind von zentraler Bedeutung für die Klimaschutzperspektive im Luftverkehr. Mit E-Fuels kann außerdem die Bestandsflotte im Straßenverkehr adressiert werden.
Bei der Einführung von Wasserstoff im Mobilitätssektor muss das gesamte Anwendungsspektrum berücksichtigt werden: alle Verkehrsträger, Primär- und Sekundärantriebe, ebenso Sonderfahrzeuge für Entsorgung, Häfen, Flughäfen, Bau- und Landwirtschaft usw. Im vorliegenden Entwurf der Strategie sind die prioritäre Anwendungsfelder im Verkehrssektor korrekt beschrieben.

Die Wasserstoffstrategie, die P-t-X-Roadmap und die Strategie für Batterieanwendungen müssen zusammen betrachtet werden. Die Gesamtstrategie erfordert ein hohes Maß an Koordinierung zwischen den Einzelmaßnahmen und den Ressorts der Bundesregierung. Für die Koordinierung sollte auf schlanke, effiziente Strukturen geachtet werden. Bestehende erfolgreiche Institutionen wie die Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW) und das Nationale Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) sollten dabei genutzt und fortgeführt werden. Wichtig ist auch das in der Strategie geplante Monitoring und Nachsteuern der Maßnahmen. Auf Grund der Dynamik im Energiemarkt erscheint hierfür ein Jahresrhythmus am besten geeignet.


Hinzu kommt die notwendige enge Verzahnung mit der Strategie der Europäischen Union für Wasserstoff und E-Fuels. Die deutsche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 ist eine wichtige Gelegenheit, um Initiativen zu ergreifen. Der Rahmen für Wasserstoff und E-Fuels in der europäischen und deutschen Regulierung muss so gesetzt werden, dass Anreize und Planungssicherheit für die Produktion und Nutzung nachhaltiger Kraftstoffe entstehen. Wettbewerbsrelevante Punkte müssen mindestens EU-weit, speziell im Luft- und Seeverkehr auch international abgestimmt werden.


Zur Ausgestaltung der Wasserstoffstrategie hat das DVF folgende Vorschläge:
Ziele, Quoten und Regulierungsrahmen

  • Die Bundesregierung sollte in Deutschland bis 2030 einen Anteil von mindestens 23 Prozent erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch des Verkehrssektors vorsehen. Anderenfalls fehlt die Grundlage zur Erreichung der für den Verkehr im Bundes-Klimaschutzgesetz fixierten CO2-Reduktionsziele.
  • Die Bundesregierung sollte in die Strategie ein ambitioniertes nationales Markteinführungsprogramm aufnehmen und umsetzen, das rasch wirkt. Wir schlagen die Ausschreibung von mindestens fünf Gigawatt in Deutschland installierter Elektrolyseleistung mit Strom aus nachhaltigen Quellen bis 2026 vor.
  • Die EU sollte eine Mindestquote von fünf Prozent E-Fuels/Wasserstoff im Jahr 2030 im Rahmen der Richtlinie zur Förderung erneuerbarer Energie (RED II) einführen.
  • Für die Bereitstellung grünen Wasserstoffs sind europäisch und international stringente Nachhaltigkeitskriterien festzulegen.
  • Im Rahmen der europäischen Energiesteuerrichtlinie sollte eine vollständige Aufhebung der Energiesteuer für die direkte Stromnutzung im Mobilitätssektor sowie für Wasserstoff und E-Fuels auf der Basis von EE-Strom geprüft werden. Ebenso müssen die direkten und indirekten EE-Stromnutzer von der EEG-Umlage in Deutschland freigestellt werden. Beim Schienenverkehr, bei E-Bussen und beim Landstrom in den Häfen hat die Bundesregierung eine solche Entlastung bereits im Koalitionsvertrag vorgesehen.
  • Mit einem delegierten Rechtsakt zu Art. 27 der RED II sollte die netzbezogene Abnahme von EE-Strom durch Elektrolyseure über das öffentliche Netz geregelt werden.
  • Das DVF begrüßt, dass eine mögliche Methodik zur Anrechnung synthetischer Kraftstoffe im Rahmen der europäischen CO2-Flottengrenzwerte von der Bundesregierung untersucht wird. Über die weitere Vorgehensweise sollte abhängig von den Ergebnissen entschieden werden.

Fördermaßnahmen, Infrastruktur, Innovation

  • Die geplanten Maßnahmen im Anwendungsbereich Verkehr, Erzeugung und Infrastruktur sind von höchster Relevanz. Das DVF unterstützt außerdem mit Nachdruck die geplanten Maßnahmen in den Bereichen Forschung, Bildung und Innovation.
  • Neben Lkw und Stadtbussen sollten Züge und Fernbusse als Anwendungsfelder der Brennstoffzellen-Technologie im Entwurf gleichermaßen erwähnt werden, z. B. bei der NIP-Förderung (Maßnahme 6) und dem Infrastrukturaufbau (Maßnahmen 8 und 9).
  • Als Variante für Straßennutzfahrzeuge mit hohen Reichweitenanforderungen, aber auch zur künftigen Versorgung von Brennstoffzellen in Flugzeugen, ist flüssiger Wasserstoff (LH2) besonders erfolgversprechend. LH2 sollte entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt werden.
  • Die Bundesregierung sollte die Förderung von Wasserstoff-Kombitankstellen für Schiene/Straße ermöglichen. Bislang entfällt die Förderung für Wasserstofftankstellen im Schienenverkehr, wenn auch Straßenfahrzeuge versorgt werden. Tankstellen zur Schienen(mit-)versorgung sollten vollständig durch den Bund finanziert werden, analog der Elektrifizierung beim Schienennetz.
  • Die Zulassungsprozesse von Schienenfahrzeugen mit Brennstoffzellenantrieb und Genehmigungsverfahren im Rahmen der Infrastrukturbereitstellung für Wasserstoff im Schienenverkehr müssen beschleunigt werden. Um Synergien zu nutzen, sollten die Verfahren und Vorschriften weitest möglich mit denen für Straßenfahrzeuge (z. B. UN ECE R134) harmonisiert werden. Durch die perspektivisch hohen Stückzahlen und Skaleneffekte der Brennstoffzellentechnologie im Bereich von Pkw und Nutzfahrzeugen könnten Fortschritte entstehen, die auch zur schnelleren und effizienteren Umsetzung der Technologie bei Verkehrsträgern mit kleineren Serien beitragen – so etwa in der Bahnindustrie.
  • Zur Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge in öffentlichen Flotten sollten Bund und Länder ihre finanzielle Unterstützung von ÖPNV-Unternehmen und kommunalen Flottenbetreibern bei der Anschaffung emissionsarmer Fahrzeuge erhöhen („Clean Vehicles Directive“, Maßnahme 11). Auf der Grundlage hoher Fahrleistungen und umfassender Betriebsdaten aus öffentlichen Flotten können auch wichtige Erkenntnisse zur Optimierung der Technologie gewonnen werden.
  • Bei den Betriebshöfen des ÖPNV sowie im Gleisbereich bei der Versorgung von Schienenfahrzeugen bestehen räumliche Restriktionen, welche die Einrichtung von Versorgungsanlagen für Wasserstoff erschweren. Außerdem muss die Belieferung mit Wasserstoff unter allen Umständen gewährleistet sein. Eine Herausforderung ist auch der Umgang mit Wasserstoff auf Schiffen und in Häfen. Deutschland kann mit der Lösung dieser Herausforderungen demonstrieren, dass die Technik den höchsten Sicherheitsanforderungen und gleichzeitig den Alltagsanforderungen im Mobilitätssektor genügt.
  • Der Entwurf der Wasserstoffstrategie betont zu Recht die Dringlichkeit klimaneutraler synthetischer Kraftstoffe für den Luftverkehr und Seeverkehr. Die Unterstützung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten für neue Kraftstoff- und Antriebsoptionen durch das Luftfahrtforschungsprogramm, das Maritime Forschungsprogramm und entsprechende EU-Programme muss ausgebaut werden (Maßnahmen 25 und 26).

Die Bundesregierung sollte die mögliche Einführung von Quoten für das Inverkehrbringen nachhaltiger Flugkraftstoffe auf europäischer und internationaler Ebene klären. Die notwendige wettbewerbsneutrale Ausgestaltung, die mangelnde Verfügbarkeit alternativer Kraftstoffe und der hohe Preis stellen beträchtliche Hürden für die Umsetzung dar. Eine einseitige Belastung deutscher Fluggesellschaften muss ausgeschlossen werden. Außerdem sollte die Beimischung nachhaltiger Biokraftstoffe als Option für den Luftverkehr anerkannt werden. Abgaben der Luftverkehrsunternehmen (Luftverkehrsteuer, Emissionshandel) müssen in die Förderung der Nachhaltigkeit des Luftverkehrs zurückgeführt werden.

  • Langfristig ist der Import von großen Mengen grünem Wasserstoff für den Verkehr erforderlich. Darum ist ein unterstützender Rahmen zur Vorbereitung internationaler Projekte von großer Bedeutung. Das DVF begrüßt die hierauf gerichteten Initiativen der Bundesregierung.
  • Dies ändert allerdings nichts an der Dringlichkeit des Ausbaus der erneuerbaren Energien in Deutschland. Der vor den Küsten produzierten Windenergie kommt eine besondere Bedeutung zu. Entsprechende Investitionen erhöhen die inländische Erzeugungskapazität für EE-Strom, unterstützen die lokale Wertschöpfung und helfen bei der Diversifizierung der Energiebezugsquellen.
  • Für die Häfen und andere logistische Knotenpunkte ist Wasserstoff künftig nicht nur als Kraftstoff, sondern auch als Umschlaggut und als Gegenstand industrieller Ansiedlungen relevant. Deutschland sollte frühzeitig die Weichen stellen, um diese Chance zum Aufbau von Wertschöpfungsketten zu nutzen.
  • Gasinfrastrukturen müssen frühzeitig für Wasserstoff ertüchtigt werden (H2-Readiness).
  • Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre (Direct Air Capture – DAC) könnten künftig eine wichtige Rolle spielen. Sie sollten bei den Fördermaßnahmen ergänzt werden.
  • Das DVF begrüßt die Ausarbeitung eines Grünbuchs Wasserstoff der EU und die Vorbereitung eines IPCEI (Important Project of Common European Interest) für Wasserstofftechnologien und -systeme.