Auch Autobahnneubau beschleunigen

19.04.2023

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Quelle: DVF
Quelle: DVF

Das Meinungsforschungsinstitut Civey hat Ende März im Auftrag des DVF mehr als 2.500 Personen über 18 Jahren dazu befragt, ob auch der Neubau von Autobahnen beschleunigt werden soll. Fast 57 % sprachen sich dafür aus. Eine bereits vorhandene Umfrage vom Januar 2023 zur Frage eines beschleunigten Ausbaus von Autobahnen (Grafik 2) zeigt eine noch höhere Zustimmung: Fast zwei Drittel waren dafür, bereits vorhandene Fernstraßeninfrastruktur für höhere Verkehrsbelastungen zu ertüchtigen. Unser Appell an die Bundesregierung, beschlossene Infrastrukturprojekte aller Verkehrsträger schneller zu planen, genehmigen und bauen, findet auch in der Bevölkerung Rückhalt.

Angesichts eines Investitionsstaus bei der Verkehrsinfrastruktur von mehr als 300 Mrd. Euro und mindestens ebenso hohen Transformationskosten für den Mobilitätssektor spielt neben der Beschleunigung auch die Finanzierungssicherheit eine entscheidende Rolle.

"Eine Beschleunigung ist ohne die Sicherheit einer langfristig auskömmlichen Finanzierung nicht zu haben, denn Infrastruktur braucht lange Vorläufe für eine schnelle Umsetzung. Mit jährlich wechselnden Budgets und Sofortprogrammen können Verkehrs- und Bauwirtschaft und Industrie nicht planen."

Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner, DVF-Präsidiumsvorsitzender

Jeder Selbstversuch auf der Straße, Schiene oder dem Wasser zeigt: Bei der Erneuerung der Verkehrs- und Digitalinfrastruktur in Deutschland besteht dringender Handlungsbedarf. Die Ampelkoalition hatte sich vorgenommen, im ersten Regierungsjahr die Voraussetzungen für eine Halbierung der Genehmigungsverfahren zu schaffen. Dann hatten sich die Koalitionspartner jedoch bei einer wichtigen Frage verhakt: Sollen auch Autobahnen schneller gebaut werden? Dabei ging es in Wirklichkeit um eine andere Frage: Sollen überhaupt noch Autobahnen gebaut oder ausgebaut werden? Und wenn ja, welche? Oder nur Brücken erneuert? Die Priorisierung und (Neu-)Bewertung von Infrastrukturprojekten in der Bundesverkehrswegeplanung ist eine wichtige Frage - und sollte auch dort behandelt werden. Bereits beschlossene Projekte aber müssen so schnell wie möglich realisiert werden - unabhängig davon, ob es sich um Straßen-, Schienen- oder Wasserstraßenprojekte handelt. Dafür ist die Lage im Land viel zu ernst. Das meinen auch die von uns Befragten, von denen sich die allermeisten auch für eine Beschleunigung des Autobahnbaus aussprachen. Neben den gesetzlichen Rahmenbedingungen gibt es übrigens noch drei weitere große und unverzichtbare Beschleuniger: eine langfristige und auskömmliche Finanzierung, genügend Arbeitskräfte für Planung, Genehmigung und Umsetzung sowie einen wirklich effektiven Bürokratieabbau. Hoffen wir, dass die Bundesregierung diese Helfer nicht vergisst.

Konkrete Vorschläge des DVF zur Beschleunigung von Verfahren:

  • Planungsfonds einführen: Vorplanungen von Projekten sind über Planungsfonds für alle Verkehrsträger und den ÖPNV kontinuierlich sicherzustellen, um einen sinnhaften Mittelabfluss zu gewährleisten. Planungsfonds sollten auf Bundes- und Landesebene eingerichtet werden und sich an den Prioritäten des BVWP orientieren.
  • Frühzeitige angemessene Bürgerbeteiligung umsetzen, um Konfliktpunkte zu identifizieren und zu klären. Dabei sollten die Interessen der direkt betroffenen Bürger Vorrang gegenüber Verbandsklagen haben.
  • Vereinfachung und Straffung von Verfahren fortsetzen. Bei kleinräumigen Maßnahmen sind dies beispielsweise ein Verzicht auf den Erörterungstermin oder eine Umweltverträglichkeitsprüfungs (UVP)-Freistellung. Möglich wäre auch eine Genehmigungsfreiheit bei kleinen und mittleren Projekten wie Umbaumaßnahmen an Empfangsgebäuden und Stromleitungen oder bei der Herstellung der Barrierefreiheit.  Behörden sollten vorhandene Spielräume zur Beschleunigung stärker ausschöpfen. Hierzu sind Regelungen in das allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz zu überführen und Unklarheiten über Begründungserfordernisse zu beseitigen. Außerdem geht es darum, Entscheidungskompetenzen im Rahmen der Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren zu bündeln und Doppelprüfungen zu vermeiden.
  • Stichtagsregelung einführen. Um Beschleunigungspotenziale zu heben, sollte in Abhängigkeit der EuGH-Entscheidung ein Stichtag für Einwände/Klagen von Betroffenen festgeschrieben werden (materielle Präklusion). Ebenso sollte ein „Redaktionsschluss“ für die anzuwendende Gesetzgebung für Bauprojekte festgelegt werden (Option: generelle Festschreibung des Termins auf das Ende der Öffentlichkeitsbeteiligung). Ein Gutachten des Normenkontrollrats sollte hierzu die Potenziale prüfen.
  • Materielles Recht reformieren. Da darüber hinaus Beschleunigungsmöglichkeiten auf Ebene des Verfahrensrechtes mit den vorliegenden Reformgesetzen weitestgehend ausgeschöpft sind, muss das materielle Recht reformiert und Stichtagsregelungen auf diesem Wege eingeführt werden:
    • Deregulierung prüfen auf EU-Ebene: Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, Vogelschutz-Richtlinie, Wasserrahmenrichtlinie; Anpassung prüfen auf nationaler Ebene: bspw. Denkmalschutz, Immissionsschutz, Naturschutzrecht
    • Kurzfristig: Erarbeitung von Konventionen und Standardisierungen auf untergesetzlicher Ebene prüfen (z. B. Erarbeitung einer Artenschutzkonvention), um Unschärfen zu kompensieren, bundesweit einheitliche Bewertung zu ermöglichen und die zeit- und kostenintensive fallbasierte Vorgehensweise mit Gutachtern und Leitfäden zu vermeiden
    • Darüber hinaus: Standardisierung von Planungsprozessen und UVPs und Hinterlegung von Standards bei der Bundeskompensationsverordnung, verbindliche und bundesweit einheitliche Standards für den Artenschutz.
  • Vereinfachungen für Ersatzneubauten ausweiten. Dabei ist zu prüfen, inwieweit auch geringfügige Anpassungen aufgrund von Kapazitätserweiterungen (z. B. Brückenbauwerke) einbezogen werden können. Ebenso wichtig sind entsprechende Vereinfachungen in den Bereichen Leitungsbau, Energie (z. B. Windkraftanlagen) und Mobilfunkinfrastruktur.
  • Übererfüllung von EU-Standards bei Umsetzung in deutsches Recht vermeiden. Dies gilt insbesondere für das Umweltbehelfsrecht. Zudem sollten Spielräume stärker begrenzt werden, auch mit Blick auf Klagebefugnisse von Verbänden. So sind Verbände derzeit nur durch ihren Satzungszweck gebunden und können Klagen daher thematisch breit über die eigentliche Interessenssphäre hinaus aufstellen.
  • Ausbau an Planungs- und Genehmigungskapazitäten in der Verwaltung und an den Gerichten. Dabei sollten neben Planungspersonal der öffentlichen Hand private Planungs- und Ingenieurbüros eingesetzt werden, um Spitzen abzudecken und Prozesse zu beschleunigen. Ebenso sollte das neue Instrument des externen Projektmanagers genutzt werden.
  • Rollenverteilung schärfen. Bei der Realisierung von Infrastrukturprojekten kommt es auf eine klare Rollenverteilung an: Der Staat sollte sich weitgehend auf seine Rolle bei der Genehmigung und Daseinsvorsorge konzentrieren. Planung und Ausführung erfolgen durch die Verkehrs-, Planungs- und Bauunternehmen. Die bestehenden vergaberechtlichen Möglichkeiten, die zum Beispiel der „Wettbewerbliche Dialog“ oder funktionale Ausschreibungen bieten, sollten stärker genutzt werden. Verzögerungen und Baupreissteigerungen werden so vermieden.
  • Risikopuffer und Projektdatenbanken nutzen. Nach der Flyvbjerg-Methode können Rahmendaten zu vergangenen, bereits umgesetzten Projekten hinsichtlich Kostentreue, Zeitaufwand und Risiken erfasst und geplante Projekte daran gemessen werden. Anschließend wird die Realitätsnähe des Projektes überprüft und ein entsprechender Risikopuffer definiert.