Fabian Amini

"Beim Schienenverkehr zäumen wir das Pferd von hinten auf"

Seit 1. Januar 2022 ist Fabian Amini CEO der deutschen Go-Ahead Gesellschaften. Das Unternehmen betreibt in Bayern und Baden-Württemberg Strecken im Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Amini startete seine Karriere bei der Deutschen Bahn, bevor er 2015 zur Transdev GmbH wechselte, wo er als Geschäftsführer und zuletzt als Vorsitzender der Geschäftsführung der Bayerischen Oberlandbahn GmbH und Bayerischen Regiobahn GmbH (BRB) tätig war. Er selbst sagt: „Ich freue mich, dass ich die dringend notwendige Verkehrswende in Deutschland weiter vorantreiben und mitgestalten darf.“ Wir wollten von Amini wissen, wie er die Modernisierung des SPNV und generell der Schiene einschätzt. Werden wir bis 2030 tatsächlich doppelt so viele Menschen auf der Schiene befördern oder ist dieses politische Ziel zu ehrgeizig? Wie geht es unter den neuen haushaltspolitischen Vorzeichen des Bundes weiter?

Fabian Amini; Bildquelle: Go-Ahead / Winfried Karg
Fabian Amini; Bildquelle: Go-Ahead / Winfried Karg

Herr Amini, die Bundesregierung muss nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Finanzen neu ordnen. Auch für den Verkehrssektor dürfte weniger Geld als bislang geplant zur Verfügung stehen. An welcher Stelle darf nach Ihrer Meinung auf keinen Fall gespart werden?

Ehrlich gesagt ist das, was bislang an Investitionen im Schienensektor geplant war, das absolut Notwendige und wir können hier nicht weiter einkürzen. Es wurde jahrzehntelang nicht ausreichend in die Schiene investiert. Es wurde jahrzehntelang ‚mehr Verkehr auf die Schiene‘ gepredigt. Aber es wurde nicht genügend dafür getan. Wir müssen jetzt den Investitionsrückstau auflösen, die Überalterung der Infrastruktur stoppen und die Kapazitäten und die Qualität des Netzes, die wir benötigen, sicherstellen.

"Wir müssen jetzt den Investitionsrückstau auflösen, die Überalterung der Infrastruktur stoppen und die Kapazitäten und die Qualität des Netzes, die wir benötigen, sicherstellen."

Die bisher eingeplanten vier Milliarden Euro aus der Lkw-Maut sind nicht verhandelbar?

Die sind dringend notwendig. Wenn aufgrund der Kürzungen nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen, dann müsste die Regierung überlegen, auf weitere Finanzierungsquellen zuzugreifen.

An was denken Sie?

Ich denke, dass es ohnehin dringend an der Zeit ist, den Abbau klimaschädlicher Subventionen in geordneten Schritten anzugehen.

Schieneninfrastruktur ist ein langfristiges Geschäft, eine neue Bahnstrecke kann man schließlich nicht in einem Haushaltsjahr bauen. Wie ließe sich Finanzierungs- und damit Planungssicherheit für die Zukunft erreichen?

Wir brauchen dringend eine neue und andere Finanzierungsstruktur, die überjährig Sicherheit schafft. Etwa durch Fondslösungen, einen für Ausbau und Modernisierung und einen für den Erhalt der Infrastruktur.  Diesen Vorschlag hat ja auch schon die Beschleunigungskommission Schiene gemacht.

"Wir brauchen dringend eine neue und andere Finanzierungsstruktur, die überjährig Sicherheit schafft."

Reichte denn, ungeachtet der aktuellen Haushalts-Notlage, die Finanzierung des Personennahverkehrs auf der Schiene aus?

Nein. Es sind zwar Steigerungen vorgesehen. Aber die werden nicht ausreichen, um die enormen Kostensteigerungen im Personalbereich und bei der Energie auszugleichen. Fraglich ist, ob damit das Verkehrsniveau gehalten oder gar wie geplant ausgebaut werden kann.

Immerhin machen allein die Regionalisierungsmittel, die der Bund an die Länder pro Jahr überweist, inzwischen mehr als zehn Milliarden Euro aus. Auch die Dynamisierung ist auf drei Prozent aufgestockt. Trotzdem mangelt es an Geld?

Vor allem wenn man das Ziel vor Augen hat, die Zahl der auf der Schiene beförderten Personen bis 2030 zu verdoppeln. Aktuell stellen sich die Bundesländer und damit die Besteller des Verkehrs wohl eher die Frage, ob der Verkehr im jetzigen Umfang überhaupt aufrechterhalten werden kann. 

"Aktuell stellen sich die Bundesländer und damit die Besteller des Verkehrs wohl eher die Frage, ob der Verkehr im jetzigen Umfang überhaupt aufrechterhalten werden kann."

Bundesminister Volker Wissing sieht offenbar große Ineffizienzen im System. Er fordert eine Neuordnung der verworrenen Verkehrsverbünde, bevor er neues Geld zum Beispiel für das Deutschlandticket bereitzustellen bereit ist. Teilen Sie diese Kritik?

Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wenn ich keine langfristige sichere Perspektive für das Deutschlandticket finde, sondern im Gegenteil gerade mal bis Mitte nächsten Jahres die Finanzierung sicherstelle, dann können sich weder Kunden noch die Branche auf eine langfristige Lösung einstellen. Wenn das Deutschlandticket etabliert ist und das zu einem ausreichend attraktiven Preis, dann kann ich auch die Tariflandschaft bereinigen.

Dem Erfolg des Deutschlandtickets steht also eher das Hin und Her und dessen Fortbestand im Wege?

Im Grund hätte der Dreiklang ein anderer sein müssen. Ich schaffe zuerst die notwendigen infrastrukturellen Voraussetzungen, dann biete ich ein attraktives Verkehrsangebot und wenn ich dann noch Mittel übrig habe, kümmere ich mich um noch attraktivere Tarife. In Deutschland zäumen wir das Pferd von hinten auf. Die Politik hat zuerst ein Deutschlandticket in den Markt gestellt, wodurch es nun bei stark nachgefragten Verbindungen zur Überlastung kommt. Und jetzt schafft sie es kaum, die Finanzierung des Tickets zu sichern, obwohl wir uns in Deutschland eigentlich um die Finanzierung der Infrastruktur und die Ausweitung des Angebots kümmern müssten.

"In Deutschland zäumen wir das Pferd von hinten auf. Die Politik hat zuerst ein Deutschlandticket in den Markt gestellt, wodurch es nun bei stark nachgefragten Verbindungen zur Überlastung kommt."

Das Deutschlandticket wird von den meisten als Erfolg gefeiert.

Die Einfachheit hat der Branche die Augen geöffnet. Es ist in dieser Hinsicht ein Game Changer. Das sollten wir nutzen. Aber das können wir nur nutzen, wenn es langfristige Planungssicherheit für alle Beteiligten gibt. Wer überlegt denn ernsthaft sein Auto abzuschaffen und auf den Nahverkehr umzusteigen, wenn er nicht sicher sein kann, ob es das Deutschlandticket in zwei oder drei Jahren noch gibt? Wer würde einen Verbundtarif abschaffen, wenn unklar ist, ob es das Deutschlandticket in zwei, drei Jahren noch zu einem ausreichend attraktiven Preis gibt?

Am Beginn Ihres Dreiklangs steht eine leistungsfähige Infrastruktur. Jetzt will die Deutsche Bahn wichtige Strecken en bloc sanieren. Was halten Sie davon und welche Folgen hat das für den Regionalverkehr?

Nach den Versäumnissen der Vergangenheit versucht man nun, aus der Not eine Tugend zu machen. Es bleibt aber auch gar nichts anderes als dieser harte Schritt, um das jahrelang vernachlässigte Schienennetz schnellstmöglich auf Vordermann zu bringen. Insofern ist der Schritt akzeptiert. Es sind aber sehr viele Fragen offen.

"Nach den Versäumnissen der Vergangenheit versucht man nun, aus der Not eine Tugend zu machen. Es bleibt aber auch gar nichts anderes als dieser harte Schritt, um das jahrelang vernachlässigte Schienennetz schnellstmöglich auf Vordermann zu bringen."

Welche?

Wie wird mit den Ausfall- und Mehrkosten der Verkehrsunternehmen umgegangen? Wie wird der Schienen-Ersatzverkehr finanziert und organisiert? Was machen wir mit den Beschäftigten in der Vollsperrungszeit? Wo kommen die vielen Busse her? Wie sichern wir die Überlebensfähigkeit der Verkehrsunternehmen, wenn Fahrgäste abwandern und nicht zurückkommen?

Als einen Schritt nach vorn will der Bund nun auch die Infrastruktursparte der Deutschen Bahn neu ordnen und aufs Gemeinwohl ausrichten.

Die Idee einer InfraGO, die gemeinwohlorientiert agiert, halten wir als Wettbewerber der Deutschen Bahn für sehr gut. Ich habe jedoch Zweifel an der Umsetzung des Plans: Die neue Netzgesellschaft soll wohl ein eng verflochtener Teil des DB-Konzerns bleiben. Meiner Meinung nach ist jedoch eine klare finanzielle, organisatorische und personelle Entflechtung von InfraGo und DB Konzern notwendig, um die Gemeinwohlorientierung sicherzustellen.

Herr Amini, auch der Sektor der privaten Bahngesellschaften ist stark im Umbau. Zwei große Betreiber haben sich schon aus dem deutschen Markt verabschiedet, einer davon durch Insolvenz. Go-Ahead Deutschland schlüpft unter das Dach der Österreichischen Bundesbahn ÖBB. Ist das deutsche Finanzierungssystem des Schienenpersonennahverkehrs nachhaltig?

Es ist zu starr. Und es bietet zu wenig Raum für Innovation und Kreativität. Uns fliegen gerade die Personalkosten um die Ohren. Auch die Pönalen wegen der nicht von uns zu verantwortenden Baustellen, Infrastrukturprobleme und Kapazitätsengpässe steigen massiv. Da brauchen wir andere Vergabebedingungen. Wir müssen flexibler reagieren. Wenn sich Anbieter aus dem Markt verabschieden und wenn die Beteiligung an Ausschreibungen deutlich sinkt, dann ist das ein Zeichen, dass es Nachbesserungsbedarf in diesem Ausschreibungsmarkt gibt.

"Auch die Pönalen wegen der nicht von uns zu verantwortenden Baustellen, Infrastrukturprobleme und Kapazitätsengpässe steigen massiv. Da brauchen wir andere Vergabebedingungen. Wir müssen flexibler reagieren."

Sehen Sie Reformbemühungen?

Ja, an vielen Stellen. In den neuen Verträgen des Freistaats Bayern gibt es z. B. einen neuen Personalkostenindex, Nordrhein-Westfalen hat diesen neuen Index auch in bestimmte Bestandsverträge eingebracht. Auch über Entlastungen bei den Pönalen in Bestandsverträgen wurde und wird nachgedacht. Aber es wird in den einzelnen Ländern und Bestellerorganisationen noch sehr unterschiedlich gehandhabt, weitere sollten hier nachziehen.

Ein Wort in eigener Sache. Die ÖBB will Go-Ahead Deutschland vom britischen Mutterkonzern übernehmen.  Was hat Ihr Unternehmen, was haben die Fahrgäste davon?

Der Schienenverkehr in Österreich und die ÖBB selbst genießen ja einen hervorragenden Ruf. Insofern haben wir künftig einen starken und erfahrenen Partner an unserer Seite, der uns beispielsweise mit Know-how unterstützen kann. Was man allerdings nicht erwarten sollte, dass die österreichische Qualität in Schienenverkehr einfach auf das marode deutsche Schienennetz übertragen werden kann. Denn Qualität hat ihren Preis. In Österreich wird pro Kopf dreimal so viel in die Schiene investiert wie in Deutschland. Deutschland liegt im europäischen Vergleich unter den Schlusslichtern.

"Denn Qualität hat ihren Preis. In Österreich wird pro Kopf dreimal so viel in die Schiene investiert wie in Deutschland."

 

Die „DVFragt nach-Interviews“ geben die Meinung der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner wieder.