Mehr Kundennähe, Digitalisierung und Klimaschutz für den Aufbruch in eine neue ÖPNV-Ära
DVF auf der Innotrans „Mobility as a Bürgerservice“
23.09.2022
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- Kundennähe unverzichtbar für Erfolg des ÖPNV
- Bewusstsein schärfen für Finanzbedarf bei Elektrifizierung und Klimaschutz im ÖPNV
- Personalgewinnung große Herausforderung für ÖPNV-Unternehmen
- Unterstützung von Bund und Ländern unerlässlich um weiterhin Investitionen und Ausbau zu sichern
Berlin, 23. September 2022 – Auf dem InnoTrans Forum des DVF zum Thema „Mobility as a Bürgerservice“ hat BVG- Betriebs-Vorstand Dr. Rolf Erfurt und DVF-Präsidiumsmitglied die Lösung der Zukunftsaufgaben im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gefordert: „Wir alle stehen unter dem Erfolgsdruck, die CO2-Emissionen zu senken und Energie einzusparen. Der ÖPNV bringt sich dabei vor allem mit dem Ausbau der Elektrifizierung seiner Flotten ein. Wir müssen uns im Klaren sein, das dies sehr viel Geld kostet und Ressourcen bedarf. Denn Technik, Angebot und Ersatzinvestitionen müssen stufenweise an die Emissionsziele angepasst werden. Die ganz große Herausforderung für alle ÖPNV-Unternehmen ist die Personalgewinnung und -bindung. Auch hier benötigen wir Unterstützung der Länder und des Bundes. Die Verkehrsunternehmen werden ihren Beitrag für die Modernisierung und Transformation des ÖPNV leisten, aber sie können die zusätzlichen Kosten nicht alleine aus den Fahrgeldeinnahmen stemmen. Zudem braucht es freie Fahrt für den ÖPNV in unseren Städten – nur ein schneller ÖPNV ist ein attraktiver ÖPNV.“
Für eine erfolgreiche Verkehrswende und eine nachhaltige Mobilität könne nur der ÖPNV das geeignete Rückgrat sein, so Dr. Meike Niedbal, Staatssekretärin, Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, Berlin. „Die Herausforderung bis 2030 wird es sein, unsere 1.700 Berliner Busse elektrisch zu betreiben – vor allem die größeren Gefäßtypen. Und es bleibt nicht beim Wechsel der Antriebsart, sondern die Elektrifizierung betrifft nahezu jeden Aspekt des Betriebs und der dafür notwendigen Infrastruktur.“ Als weitere massive Herausforderung bezeichnete die Staatssekretärin das fehlende Fahrpersonal und Personal in übergeordneten Bereichen in Verkehrsunternehmen. Ein zuverlässiger und vor allem ausreichend dicht getakteter öffentlicher Nahverkehr sei jedoch von außerordentlicher Wichtigkeit. Da das aktuelle Kerngeschäft der Verkehrsbetriebe den besten „Bürgerservice“ biete bei gleichzeitig unschlagbaren Preisen, müsse dieses Grundsystem zwingend aufrechterhalten werden.
Das Thema Fahrermangel ist auch im Hamburger Verkehrsverbund (hvv) nicht unbekannt. hvv-Geschäftsführerin Anna-Theresa Korbutt sagte, dass hier zukünftig neue Lösungen erforderlich seien. „Wenn wir Marktanteile vom Pkw gewinnen wollen, brauchen wir einen weiteren Kapazitätsausbau. Ich sehe im autonomen Fahren eine Option, diesen Ausbau auch in einem schwierigen Arbeitsmarkt hinzubekommen.“ Der ÖPNV sollte sich gleichzeitig radikal am Kunden orientieren und insbesondere die Digitalisierung weiter forcieren: „Wir müssen deshalb noch stärker mit Digitalunternehmen kooperieren und nicht alles selber machen.“
Dr. Stefanie Böge, Leitung Entwicklungsprojekte, Übergangssysteme Bus Geschäftsbereich Mobility, HÜBNER-Gruppe, hatte für das Kapazitätsproblem eine Lösung im Gepäck: „Mit unserem innovativen, zuverlässigen und sicheren Lenksystem für High-Capacity-Busse kombinieren wir die Vorteile „Straßenbahn auf Gummirädern“ mit sechs intelligenten Achsen, die einen hohen Komfort bei einer Beförderungskapazität für rund 300 Fahrgäste bieten.“ Diese XL-Busse könnten auf der Straße fahren und benötigten kein Schienennetz, was sie deutlich kosteneffizienter, flexibel und auch kurzfristig in die bestehende Straßeninfrastruktur von Städten integrierbar mache.
9-Euro-Ticket Nachfolgeregelung umsetzen
Die DLR-Panelbefragung analysierte, wie das 9-Euro-Ticket das Mobilitätsverhalten verändert hatte. Prof. Dr. Meike Jipp, Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) erklärte: „Im Sommer 2022 stieg der Anteil der Personen, die multimodal unterwegs waren, stark an. Ende Juni und Anfang Juli 2022 konnten rund 50 Prozent der Erwachsenen den ÖPNV zur Flatrate nutzen. Der Anteil der Personen mit einem 9-Euro-Ticket sank aber über die drei Monate hinweg. So nutzte etwa die Hälfte der befragten Personen das Ticket für vier oder weniger Fahrten. Damit macht das Ticket nur einen kleinen Anteil an der Gesamtmobilität aus.“ Ein wichtiger Erfolg dieses Angebots sei es gewesen, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf den ÖPNV zu lenken und damit das Routineverhalten der eigenen Mobilität zu unterbrechen. Zweiter wichtiger Erfolg war die Einfachheit des Tickets und damit die Nutzbarkeit des ÖPNV-Angebots. Hieran müsse man nun anknüpfen.
Guido Schötz, Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, Berlin, sagte dazu, dass eine Nachfolgeregelung zum 9-Euro Ticket ein wesentlicher Teil für die Verkehrswende sei. Mit dem Berliner 29-Euro Ticket habe man eine Übergangsregelung geschaffen. Es müsse jedoch schnell eine bundesweite dauerhafte Lösung kommen. „Zudem werden wir unseren ÖPNV in Berlin bis 2030 dekarbonisieren. Das ist eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance. So werden etwa im Busbereich alle Betriebsabläufe und Betriebshöfe komplett umgestellt werden müssen.“ Darüber hinaus verfolge die Senatsverwaltung das Ziel, den Fahrgästen bequeme, nachhaltige und vor allem verlässliche Mobilität zu ermöglichen.
Eine dramatische Verbesserung der CO2 Bilanz bei den Omnibusbetreibern sei durch innovative alternative Antriebe über Batterie oder Wasserstoff möglich, so Alexander Stucke, Head of Sales Bus, QUANTRON AG. Quantron as a Service (QaaS) übernehme alle Komponenten bei der Umstellung wie Energie, Hardware, Service, Digitale Systeme für den Betreiber, um dessen Kosten planbar zu machen und die „Furcht“ vor Investitionen in neue Technologien zu reduzieren. Der Betreiber sei verantwortlich für die Beförderung von Personen und nicht für Anschaffung und Betrieb der Hardware (Bus). QUANTRON biete damit zukünftig die Möglichkeit einer kilometerbasierten Abrechnung inklusive Grünstrom und grünem Wasserstoff für die Fahrzeuge.
Micromobilität durch Aufgabenträger im Tarifsystem integrieren
Die Mobilitätswende könne niemand im Alleingang schaffen, so die Feststellung von Roland Werner, Senior Director Governmental Affairs & Public Policy, Uber DACH + Southern Europe. „Um sie zu gestalten, brauchen wir einen integrierten Mobilitätsmix mit vielen verschiedenen Angeboten, die den ÖPNV ergänzen, wie Mietwagenfahrdienste, Mikromobilität oder Taxi. Das “Letzte Meile”-Angebot von Uber in Berlin, München und Düsseldorf zeigt zum Beispiel, wie die Anbindung an den ÖPNV signifikant verbessert werden kann. Gerade außerhalb der Stadtzentren und zu Randzeiten bieten wir hier, komplementär zum öffentlichen Nahverkehr, eine wirkliche Alternative zum privaten Pkw.“
Jochen Schlei, CEO, SRP Consulting AG und Sebastian Storch, Associate Director, Umlaut SE stellten ihre Erhebung „ÖPNV Unternehmen 2030: Trendanalyse und Mobilitätsstrategien“ vor. Laut Schlei seien neben vieldiskutierten Maßnahmen wie dem Kapazitätsausbau oder günstigen Ticketpreisen weitere Bausteine als Teil eines umfassenden Handlungsprogramms nötig: „Dazu zählt insbesondere die Berücksichtigung von Micro Mobility als ergänzendes und nicht als konkurrierendes Angebot für Metropolregionen. Entsprechendes Know-how in der Digitalisierung ist neben einer gesicherten Finanzierung wesentliche Voraussetzung. Dies erfordert den Aufbau eigener Kompetenzen der ÖPNV-Unternehmen wie auch zielgerichtete Kooperationen mit innovativen Dienstleistern.“ Storch gab zu bedenken, dass viele ÖPNV-Unternehmen mit der Digitalisierung noch am Anfang stünden. Es brauche für die Umsetzung in den Unternehmen entsprechendes Personal mit digitalem Hintergrund.
Hinsichtlich des autonomen Fahrens warnte Werner Engl, SVP Global Sales & Customer Development, ZF Group, vor zu hohen Erwartungen an einen baldigen großflächigen Einsatz. Hier seien noch viele Hürden zu nehmen. Laut Engl biete ZF aber mit autonomen Transportsystemen innovative Lösungen für Mobilität. „Ein Netz aus elektrisch angetriebenen, fahrerlosen Shuttles stellt mit einer bedarfsgerechten Taktung und einer nahtlosen Anbindung an andere öffentliche Verkehrsmittel eine umweltfreundliche und sichere Alternative zum eigenen Pkw dar.“ Das wesentliche Element bei zukünftigen Fahrzeugen werde jedoch die Konnektivität sein. Ohne Datensammlung und -verarbeitung werde autonomes Fahren nicht möglich sein.