Bild Quelle: DVF/Photothek/ V. l.: Frank Dreeke, Frank Schäffler MdB

Der Vorsitzende des Lenkungskreises Infrastruktur Nikolaus Graf von Matuschka, zum Sitzungszeitpunkt CEO der HOCHTIEF Solutions AG, äußerte sich anerkennend zum Hochlauf der Infrastrukturinvestitionen des Bundes, den es bis 2022 gegeben habe. Dennoch würden die Leistungsdefizite bei der Schiene, Wasserstraße und den Brücken mehr und mehr zutage treten. Bei der Debatte zum Bundeshaushalt 2023 im Deutschen Bundestag habe Frank Schäffler MdB (FDP), Berichterstatter Einzelplan Verkehr im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, festgestellt, dass bei Ausfinanzierung nach heutigen Kosten insgesamt 318 Milliarden Euro für die Umsetzung der Bedarfspläne Straße, Schiene und Wasserstraße erforderlich wären. Künftige Baukostensteigerungen seien dabei noch nicht berücksichtigt. Matuschka plädierte deshalb für mehr Planungsressourcen der öffentlichen Hand, effizienteres Planen und Bauen und vor allem eine verlässlichere Finanzierungslinie.

Schäffler führte aus, dass die Schuldenbremse unumgänglich sei und damit die Neuverschuldung des Bundes bei maximal 17 Milliarden Euro liege. „Die Schuldenbremse zwingt zur Prioritätensetzung“, so Schäffler.

„Öffentliche Mittel müssen vom Konsum hin zu Investitionen umgeschichtet werden."

Frank Schäffler MdB

"Das Funktionieren der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur, etwa der Schleusen, Schienenwege und Bundesautobahnen, hat dabei Vorrang.“ Auch sollten mehr Projekte in öffentlich-privaten Partnerschaften durchgeführt werden. Vor allem aber gelte es, eine Trendwende beim Sanierungsstau zu erreichen. Schäffler stimmte Matuschka zu, dass mehr Planungskapazitäten aufgebaut werden müssten, auch in der Bauwirtschaft.

Der Lenkungskreisvorsitzende Häfen/Schifffahrt Frank Dreeke, Vorsitzender des Vorstands BLG Logistics Group AG & Co. KG, forderte: „Der Hafenlastenausgleich des Bundes muss auf 400 Millionen Euro angehoben werden."

"Die Energiewende erfordert massive Investitionen in den Häfen. Diese Investitionen haben nationale Tragweite. Die bisherigen 38 Millionen Euro sind komplett unrealistisch.“

Frank Dreeke

Dreeke wies außerdem auf das gemeinsame Gutachten des ZDS und der IHK Nord zur Leistungssteigerung des Schienengüterverkehrs im Deutschland-Takt hin. Die Umsetzung der sogenannten Flexi-Trassen und die Nutzung der Wasserstraße seien wichtig. Die Schiene benötige einen gesonderten Fonds, um die anstehenden Investitionen in akzeptabler Zeit umsetzen zu können.

Evonik fordert Ertüchtigung des Wesel-Datteln-Kanals

Evonik fordert Ertüchtigung des Wesel-Datteln-Kanals

Copyright: Evonik Industries AG

Dr. Andreas Coester, Head of Port Operations bei Evonik Industries, schilderte die Bedeutung der Wasserstraße am Beispiel des Standortes Marl. Mit 2,2 Millionen Tonnen pro Jahr ist die Wasserstraße für Evonik in Marl ein Verkehrsträger von signifikanter Bedeutung. Ihre Leistungsfähigkeit und zuverlässige Verfügbarkeit ist eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt der 10.000 Arbeitsplätze am Standort. Die auf der Wasserstraße verschifften Gefahrgüter seien nur bedingt auf andere Verkehrsträger verlegbar, erläuterte Coester.

10.000 Arbeitsplätze am Standort

Coester betonte die Bedeutung der Schiff- und Schleusbarkeit des Wesel-Datteln-Kanals für Evonik am Standort Marl und berichtete über den maroden Zustand der Schleusen und Brücken: „Das birgt ein hohes Risiko für Produktionsausfälle und den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Durch den heute schon erforderlichen hohen manuellen Aufwand kommt es zu Wartezeiten und Verspätungen der Schiffe. Und es entsteht ein hoher Planungs- und Koordinationsaufwand für die Produktionsbetriebe. Erschwerend wirken sich außerdem die nun öfter auftretenden Niedrigwasserlagen auf eine robuste Lieferkette aus.“

"Durch den heute schon erforderlichen hohen manuellen Aufwand kommt es zu Wartezeiten und Verspätungen der Schiffe."

Dr. Andreas Coester

Acht Handlungsfelder identifiziert

Um Transporte auf die Wasserstraße verlagern zu können, müsste nach den Worten von Coester zunächst der Wesel-Datteln-Kanal ertüchtigt werden. Um für Fälle von Niedrigwasser gewappnet zu sein, müsse zudem die Kanalsohle an der rheinseitigen Zufahrt in den Kanal abgesenkt werden. „Der hierfür angesetzte Zieltermin für die Umsetzung im Jahr 2049 ist natürlich viel zu spät. Im Austausch mit dem Bundesverkehrsministerium und Vertretern verschiedener Industrien haben wir bereits 2019 acht Handlungsfelder identifiziert. Wenngleich es positive Ergebnisse durch die Verankerung von zusätzlichen Personalressourcen im Bundeshaushalt 2020 zu verzeichnen gibt, wird sich Stand heute  die Realisierung aller Handlungsfelder in Teilen verzögern.“ Von der Politik forderte Coester die

  • langfristige Sicherung finanzieller und personeller Ressourcen für die Ertüchtigung der Wasserstraßen,
  • die Bereitschaft, über innovative Lösungswege nachzudenken, die schneller zum Ziel führen, beispielsweise Kooperationsmodelle wie die integrierte Projektabwicklung,
  • die Berücksichtigung der Wasserstraßen bei der Erarbeitung von Gesetzen zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung des Bundes und
  • die Berücksichtigung des Antrags des Landes Nordrhein-Westfalen zu leistungsfähigen Wasserstraßen und verlässlicher Infrastruktur der Binnenschifffahrt.

Mit der integrierten Projektabwicklung schneller bauen

Mit der integrierten Projektabwicklung schneller bauen

Quelle: KIT, Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Shervin Haghsheno

Die von Coester erwähnte Integrierte Projektabwicklung (IPA) ist ein innovatives Projektabwicklungsmodell, das eine schnellere Bauumsetzung ermöglicht. Prof. Dr. Shervin Haghsheno, Geschäftsführender Direktor und Leiter des Fachgebiets Baubetrieb und Bauprozessmanagement, Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zeigte den Lenkungskreisteilnehmenden die Vorteile der IPA auf. „Das Wesentliche bei IPA ist, dass hierdurch die vertraglichen, organisatorischen und kulturellen Rahmenbedingungen mittels eines Mehrparteienvertrages so ausgestaltet werden, dass die individuellen Ziele der Vertragspartner zu einer gemeinsamen Interessenlage zusammengeführt werden. Dadurch verfolgen alle Beteiligten gemeinschaftlich Projektziele.“

"Dadurch verfolgen alle Beteiligten gemeinschaftlich Projektziele.“

Prof. Dr. Shervin Haghsheno

Bauherr, Planer und Bauunternehmen würden damit auf Augenhöhe agieren. Weitere Vorteile seien eine frühzeitige Einbindung im Kompetenzwettbewerb, ein gemeinsames Risikomanagement und ein transparentes, flexibles und wertschöpfungsbasiertes Vergütungssystem mit einem gemeinsamem Anreizsystem. Die integrierte Organisation und Prozesse ermöglichten gemeinsame Entscheidungen mit definierten Eskalationsmechanismen, was eine Kultur der guten Zusammenarbeit mit Vertrauen und Wertschätzung fördere.

Konkrete Beschleunigungspotenziale bestünden unter anderem bei der Nutzung der Genehmigungszeit für die Ausführungsvorbereitung, der Verzahnung von Planung und Umsetzung mit Blick auf Logistik und Beschaffungsprozesse sowie die Produktionsplanung. „Mit diesen teils parallel stattfindenden Prozessen reduziert die IPA mögliche Verzögerungen durch Störungen, schafft mehr Stabilität in der Ausführung durch die Verringerung des Konfliktpotenzials und ermöglicht eine wirtschaftliche Incentivierung. Falls Zeit ein Wertschöpfungsparameter ist, könnte dies beispielsweise eine Beschleunigungsprämie.“