Standort Deutschland und Europa – wettbewerbsfähige Industriepolitik
In der zweiten Jahreshälfte 2020 übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Die Chance, wichtige verkehrspolitische Themen neu zu beleben und voranzubringen, muss genutzt werden. Das DVF hat große Erwartungen, dass Deutschland beispielsweise dem seit Jahrzehnten angestrebten einheitlichen europäischen Luftraum (SES) eine echte Umsetzungsperspektive verleiht. Im Fokus der neuen EU-Präsidentin Ursula von der Leyen steht das Megathema Klimaschutz. Darauf würde der SES mit schlagartig bis zu 10 Prozent CO₂-Einsparungen einzahlen.
»Wir haben schon ein finanzielles Klimaschutzinstrument im europäischen Luftverkehr. Das ist der Emissionshandel. Der wird künftig durch CORSIA ersetzt, sodass eine weltweite Bepreisung von CO₂-Emissionen entsteht. Es geht darum, CORSIA konsequent umzusetzen und nicht weitere einseitige Belastungen für deutsche oder europäische Airlines zu schaffen.«
Thorsten Dirks
Mitglied des Vorstands, Eurowings, Deutsche Lufthansa AG
Mobilität für Europa
Am 16. Juli 2019 wurde Ursula von der Leyen vom Europäischen Parlament als Präsidentin der Europäischen Kommission bestätigt. Mit dem Green Deal und der Digitalen Agenda hat von der Leyen wichtige Schwerpunkte der Kommissionsarbeit für die kommenden Jahre festgelegt. Mit Blick auf den Vorschlag, die Zwischenziele 2030 der EU beim Klimaschutz nochmals zu verschärfen, hat das DVF allerdings erhebliche Bedenken geäußert. Die Verkehrswirtschaft steht hinter dem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, aber mit einem Reduktionsziel von bis zu 55 Prozent weniger CO₂ wird sich der Pfad zur Erreichung der Klimaziele in einer Dimension verändern, die dazu führt, dass Zahlungen Deutschlands im Rahmen der EU-Lastenteilung noch drastischer ausfallen. Die Folge wäre, dass wichtige Investitionsmittel für den Umbau im Verkehrssektor verloren gehen.
Der Green Deal soll in den nächsten zehn Jahren mindestens 1 Billion Euro an nachhaltigen Investitionen mobilisieren. Das sieht zunächst nach einer sehr großen Investitionssumme aus, de facto sind dies aber hauptsächlich Mittel, die in anderen Finanzierungsquellen bereits eingeplant waren. Das DVF spricht sich dafür aus, dass die EU tatsächlich neue Finanzierungsmittel einsetzt, um ihre Klimaschutzziele zu verwirklichen.
Anlässlich der Neuwahl der EU-Institutionen 2019 hat das DVF das Positionspapier „Mobilität für Europa – Gemeinschaft entsteht aus Verbindung“ veröffentlicht.
Das DVF plädiert darin für eine wirklich zukunftsfähige europäische Mobilitätspolitik. In folgenden fünf Handlungsfeldern hat das DVF Maßnahmen zusammengestellt, um den europäischen Mobilitätsmarkt wettbewerbsfähig, umwelt- und klimaschonend sowie kundenfreundlich zu gestalten:
- Verkehrsinfrastruktur zukunftsfähig entwickeln und Schnittstellen verbessern
- Klimaschutz voranbringen und Lärm reduzieren
- Logistikbranche stärken und Sicherheitsanforderungen angleichen
- Digitale Vernetzung vorantreiben und Angebotsqualität erhalten
- Europäischen Binnenmarkt vollenden und die Wettbewerbsfähigkeit fördern
»Angesichts der öffentlichen Konzentration auf die Elektromobilität müssen wir als Industrie deutlich machen, dass wir auch andere Lösungen für die verschiedenen Verkehrsträger brauchen.«
Frank Dreeke
Vorstandsvorsitzender BLG LOGISTICS GROUP AG & Co. KG
Einfuhrumsatzsteuer
Das DVF setzt sich gemeinsam mit einer großen Allianz von Unternehmen und Verbänden nachdrücklich für eine Vereinfachung des Erhebungsverfahrens der Einfuhrumsatzsteuer ein. Der bürokratische Aufwand und das Erfordernis der Zwischenfinanzierung müssen für die Importeure entfallen. Die Reform ist eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit des Logistikstandorts Deutschland im europäischen Umfeld. Die Optimierung des Erhebungsverfahrens steht außerdem als Vorhaben im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Die Minister der Länder aus den Bereichen Verkehr, Wirtschaft und Finanzen haben Zustimmung zu einer Reform signalisiert. Das DVF sieht es als dringlich an, dass Bund und Länder die notwendigen Gesetzesänderungen jetzt in die Wege leiten, damit die Chance für die Reform nicht verspielt wird.
Deutsch-niederländische Schienengüterverkehrsprojekte
Neben Deutschland haben auch die Niederlande einen Masterplan Schienengüterverkehr beschlossen. Aufgrund der engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern vereinbarten Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, und seine niederländische Amtskollegin Stientje van Veldhoven, auf Grundlage der Masterpläne beider Länder ein gemeinsames Papier zu entwerfen, in dem Maßnahmen miteinander verknüpft und gemeinsame Initiativen festgelegt werden. Die Declaration of Intent (DoI) unterzeichneten am 9. April 2019 beide Staatssekretäre sowie Wirtschaftsvertreter, die vom DVF vorgeschlagen wurden, und das DVF selbst. Dem Aufruf des DVF, Projektvorschläge zur Umsetzung der DoI einzureichen, folgten fünf Mitgliedsunternehmen, die ihre Projekte im Juni 2019 in Den Haag sowohl den niederländischen Vertretern des Verkehrsministeriums als auch potenziellen Partnern vorstellten. Der Austausch über die gemeinsamen Projekte erfolgt inzwischen kontinuierlich. Eine Förderung würde ebenfalls über die Förderrichtlinie „Zukunft Schienengüterverkehr“ erfolgen. Zudem hat sich das DVF im parlamentarischen Verfahren zum Bundeshaushalt 2020 für die Bereitstellung auskömmlicher Mittel eingesetzt.
»Mobilität betrifft jeden Einzelnen in seinem individuellen Verhalten und seinen täglichen Entscheidungen. Das ist ein hochsensibles gesellschaftliches Thema. Aber wenn wir es richtig anpacken, ist es auch eine große Chance für die technologische Marktführerschaft und mehr Lebensqualität.«
Dr. Jörg Mosolf,
Vorsitzender des Vorstands (CEO), MOSOLF SE & Co. KG
Luftverkehrsstandort Deutschland
Mit der Leipziger Erklärung haben Industrie, Bund, Länder und Gewerkschaften eine gemeinsame Vision für einen starken, zukunftsfähigen Luftfahrtstandort Deutschland vorgelegt. Im Gegensatz dazu enthält das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung allerdings fragwürdige Schritte: Die Erhöhung der Luftverkehrsteuer hilft nicht beim Klimaschutz im Luftverkehr, sie schädigt aber die Wettbewerbsfähigkeit und Investitionskraft der deutschen Fluggesellschaften. Das DVF fordert, dass signifikante Bestandteile der Steuer für die Förderung sauberer Kraftstoffe (E-Fuels) im Luftverkehr genutzt werden.
Die regulatorischen Rahmenbedingungen sind nicht zuletzt von größter Tragweite für die Zukunft der Arbeitsplätze bei den deutschen Fluggesellschaften und Flughäfen. Angesichts der dramatischen Einnahmeausfälle der deutschen Fluggesellschaften und Flughäfen durch die Corona-Krise sollte die Bundesregierung die zum April 2020 geplante Anhebung der Luftverkehrsteuer aussetzen. Überlegungen des Bundes zur Anhebung der Luftsicherheitsgebühren müssen zurückgestellt werden. Der Bund sollte die Luftfahrtunternehmen bei den Kosten der Luftsicherheit entlasten. Die Effizienz der Fluggastkontrollen muss erhöht werden, indem die Fluggastkontrollen in die Hand der Flughäfen gelegt werden. Von sehr großer Bedeutung ist außerdem die Umsetzung des Single European Sky (SES). Beim Thema SES muss die Bundesregierung im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 die Initiative ergreifen.
Masterplan Binnenschifffahrt
Am 14. Mai 2019 hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer den Masterplan Binnenschifffahrt der Öffentlichkeit vorgestellt. Das DVF hat an der Erstellung des Masterplans mitgewirkt und die Vorlage begrüßt. Der Güterverkehr wächst und Deutschland muss die Klimaziele einhalten – ein unverzichtbarer Teil der Lösung ist die Wasserstraße. Damit die Binnenschifffahrt die Erwartungen erfüllen kann, müssen die Themen Infrastruktur und Digitalisierung sehr konsequent angegangen werden. Das DVF schlägt vor:
- Konsequente Realisierung der Wasserstraßen-Ausbauprojekte im Bundesverkehrswegeplan
- Planungsbeschleunigung, mehr Planungspersonal und schnelleres Bauen
- Aufbau eines leistungsfähigen Mobilfunknetzes entlang der Wasserstraßen und in den Häfen
- Technische Modernisierung der Binnenschiffsflotte, Unterstützung für die Anschaffung neuer Antriebe, aber auch für den Bau kleinerer und flachgehender Schiffe
- Integration des Binnenschiffs in das digitale Anmeldesystem für Schwerlasttransporte VEMAGS
- Sicherung von Fachkräften
Stellenbesetzungen bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – das Delta wird immer größer
Quelle: BMVI
Abbiegeassistent für Lkw
Das DVF unterstützt die »Aktion Abbiegeassistent« des Bundesverkehrsministeriums (BMVI). Um schneller zu einer Verbreitung von elektronischen Abbiegeassistenten zu gelangen, hatte das BMVI ein Förderprogramm für die freiwillige Aus- und Nachrüstung von Nutzfahrzeugen aufgelegt. Der Forderung nach einer Aufstockung der Mittel ist das BMVI im Juni 2019 gefolgt. Auch der zweite Förderaufruf wurde nach kürzester Zeit beendet, da die Mittel vergriffen waren. Im Haushaltsplan 2020 sind weitere Mittel in zweistelliger Millionenhöhe eingestellt.
Rahmen für neue Mobilitätsformen
Neben der Zulassung von E-Scootern hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer Vorschläge zur fahrradfreundlicheren Gestaltung der Straßenverkehrsordnung vorgelegt. E-Scooter sind eine neue Form der Mikromobilität. Sie können zur Effizienz des Verkehrs in Städten und zum Klimaschutz beitragen. Vor dem Hintergrund des Klimaschutzes wächst außerdem die Bedeutung des Fahrradverkehrs speziell in den Städten. Es stellt sich die Frage, wie diese Beiträge optimal genutzt werden können. Die Entschärfung von Nutzungskonflikten im öffentlichen Straßenraum und die Erhöhung der Verkehrssicherheit sind dabei wichtige Punkte.
Der Mobilitätssektor sollte auch durch digitale Vermittlungsdienste und „Shared Mobility“ mit Pkw weiter modernisiert werden, ohne die funktionierenden und leistungsfähigen Hauptadern im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu kannibalisieren. Moderne Formen der Fahrtvermittlung müssen ermöglicht werden. Der ÖPNV ist zu flexibilisieren und dabei das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) so zu gestalten, dass der Übergang von der Experimentierklausel in den Regelbetrieb möglich ist, auch wenn die Mobilitätsform nicht eindeutig in eine geregelte Form passt.
Fachkräftemangel begegnen
Der Mobilitätssektor gehört mit etwa 11 Prozent aller Erwerbstätigen in verkehrsbezogenen Wirtschaftsbereichen zu den Sektoren mit der größten Beschäftigungswirkung. Während in der breiten Öffentlichkeit vor allem das fehlende Personal in der Pflege und in den Kitas und Schulen wahrgenommen wird, steht der gesamte Mobilitätssektor ebenso vor gravierenden Herausforderungen und muss Personalmangel und -engpässe verzeichnen. Das hat Folgen: In der Logistikbranche erhöhen sich die Transportpreise auch aufgrund der mangelnden Personalkapazitäten; Verspätungen und Ausfälle von Zügen, im ÖPNV oder im Luftverkehr sind die Folge. Ein weiteres Problem ist der Personalmangel bei der öffentlichen Hand, besonders in den Planungs-und Genehmigungsbehörden, den Gerichten, den Bauplanungs- und Aufsichtsbehörden, in den Schulen und Hochschulen, bei Bundesämtern wie dem Bundesamt für Güterverkehr, dem Fernstraßen-Bundesamt, der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, dem Eisenbahn-Bundesamt, der Bundesnetzagentur oder den Flugsicherungen. Die Konsequenz: Anträge und Genehmigungen werden schleppend bearbeitet, weil die kommunalen Verwaltungen zu wenig Personal haben. Dadurch gelangen Projekte etwa im Straßenbau nicht zur Baureife. Das DVF hat hierzu ein Positionspapier erarbeitet und Maßnahmen vorgeschlagen, um mehr Menschen für Berufe im Mobilitätsbereich zu begeistern.
Download 2019 Positionspapier Fachkräftemangel
Darüber hinaus hat sich das DVF in den verschiedenen Gremien dafür eingesetzt, das Thema Arbeits- und Fachkräftemangel in die Maßnahmenkataloge aufzunehmen, beispielsweise beim Zukunftsbündnis Schiene und in dem Innovationsprogramm Logistik 2030.
Zahlen und Daten
- CO₂-Reduktionsziel der EU minus 55 Prozent bis 2030
- 1 Billion Euro in zehn Jahren will die EU für nachhaltige Investitionen generieren
- Über 3,2 Millionen Menschen arbeiten im Transport- und Logistikbereich in Deutschland
- 11 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland sind im Mobilitätssektor beschäftigt