Standort Deutschland und Europa – wettbewerbsfähige Industriepolitik

Im Vorgriff auf den Corona-Wiederaufbauplan der EU-Kommission übermittelte das DVF seine Vorstellungen für einen schnellen und wirkungsvollen Hochlauf der Verkehrswirtschaft an die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen. Danach müssen die Maßnahmen eines europäischen Wiederaufbauplans die Europäische Union langfristig stärken. Ziele sind die nachhaltige Belebung der europäischen Wirtschaft und die stärkere Integration innerhalb der EU sowie die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit bei gleichzeitiger Stärkung der Handelsbeziehungen zu außereuropäischen Partnern. Zudem ist die europäische Förderung auf Zukunftsmärkte auszurichten. Dazu zählen insbesondere Digitalisierung inklusive KI und digitale Infrastruktur, Forschung, Mobilfunk, Security und Gesundheit. Zoll- und Handelsschranken mit Drittländern müssen abgebaut werden, sofern dies auch umgekehrt gewährleistet wird.

Nach vier Tagen und Nächten harter Verhandlungen verkündete Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rates, am 21.07.2020 einen „Deal“. Die Mitgliedstaaten haben sich darauf verständigt, dass die Europäische Union über ihren Haushalt in den Jahren 2021 bis 2027 Zahlungsverpflichtungen von 1,074 Billionen Euro eingehen kann. Hinzu kommt der Corona-Wiederaufbauplan „NextGenerationEU“, für den die EU-Kommission 750 Milliarden Euro an den Finanzmärkten aufnehmen darf. Davon sollen 360 Milliarden Euro als Kredite an die Mitgliedstaaten vergeben werden und 390 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Zuschüsse. Festgehalten wurde auch, dass 30 Prozent aller Ausgaben aus dem EU-Haushalt und Wiederaufbauplan den Klimaschutzzielen der EU nutzen müssen.

 

Die Investitionen in den Klimaschutz im Verkehrssektor müssen trotz der erschwerten Bedingungen fortgeführt werden. Das wird eine große Kraftanstrengung für alle Beteiligten – die Unternehmen, die Verbraucher und nicht zuletzt die öffentliche Hand.

Gerhard Hillebrand
Verkehrspräsident, Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e.V. (ADAC)

Gerhard Hillebrand - Bildquelle: Webseite DVF

Aussprache mit EU-Kommissarin Vălean

Beim Austausch mit der EU-Verkehrskommissarin Adina-Ioana Vălean mit dem Präsidium des DVF wurden die Themen Klimaschutzziele 2030 und 2050, Recovery-Strategie der EU sowie das Investitionsbudget und CEF (Connecting Europe Facility) diskutiert. Laut Vălean reiche eine bloße wirtschaftliche Erholung nach der Coronapandemie nicht aus, vielmehr sei die Ausgangsbasis zu verbessern. Der Wiederaufbau solle dabei hinsichtlich der Umweltregeln mit Augenmaß erfolgen. Die EU-Kommissarin sah die Notwendigkeit, den gesamten Mobilitätssektor widerstandsfähiger aufzustellen, etwa durch schnellere Verbindungen, Digitalisierung und den Zugang zu Investitionsmitteln.

Norbert Schüssler - Bildquelle: Webseite DVF

Es muss nach wie vor ein Ruck durch die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland gehen, der auch in Brüssel spürbar wahrgenommen wird! Im Übrigen lassen Sie mich an dieser Stelle zum Ausdruck bringen, dass das Thema Präklusion auf der europäischen Agenda ein mutiger und notwendiger Schritt ist!

Norbert Schüssler
Geschäftsführender Gesellschafter, Schüßler-Plan GmbH

Wiederaufbauplan und CEF

Das Budget für den Ausbau der Infrastruktur, das EU-Finanzinstrument CEF , setzten die Mitgliedstaaten in Summe auf 11,4 Milliarden Euro fest, wobei 1,38 Milliarden Euro davon zusätzlich für Kohäsionsländer – also Regionen in denen die Wirtschaftskraft unter einem gewissen Schwellenwert liegt – vorbehalten bleiben. Damit beschnitten die Regierungschefs den Vorschlag, mit dem EU-Ratspräsident Charles Michel in das Gipfeltreffen gegangen war, denn dieser lag bereits 1,5 Milliarden Euro unter dem Vorschlag der EU-Kommission. Das EU-Parlament hatte 17,7 Milliarden Euro gefordert.

Das DVF rief die EU-Kommission, die Staats- und Regierungschefs sowie das EU- Parlament dazu auf, sich gegen die geplanten Kürzungen im Verkehrsbudget des mehrjährigen EU-Finanzrahmens (MFR) zu stemmen. Denn die Kürzungen im für Verkehrsprojekte besonders wichtigen Förderinstrument CEF können nicht über kurzfristige Mittel aus Konjunkturprogrammen, wie dem Aufbauprogramm „NextGenerationEU“, abgefangen werden. Wenn der Mobilitätssektor wirklich widerstandsfähiger aufgestellt werden soll, sind europäische Investitionsmittel für schnellere Verbindungen und die Digitalisierung aktuell wichtiger denn je

Gemeinsam mit dem Runden Tisch Schienengüterverkehr haben wir drei Initiativen formuliert, die wir auf europäischer Ebene einbringen wollen: die Förderung von ETCS- Ausrüstung an den Triebfahrzeugen, die EU-weite Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung und die Stärkung der europäischen Schienengüterverkehrskorridore.

Enak Ferlemann MdB
Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur

Enak Ferlemann MdB - Bildquelle: https://www.enak-ferlemann.de/presse/

Deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 forderte das DVF eine Konzentration auf den Ausbau und die Modernisierung der Transeuropäischen Verkehrsnetze, die Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen, das Vorantreiben der Digitalisierung und die Vollendung des europäischen Binnenmarkts. Dazu braucht es Investitionen in klimafreundliche Verkehrssysteme, eine Investitionsstrategie für alternative Kraftstoffe und die Schaffung eines europäischen Zukunftsmarktes der Mobilität. Das bedeutet auch eine europäische Industriepolitik samt einer Strategie für Wasserstoff und E-Fuels, die Unterstützung für den Ausbau der Tank- und Ladeinfrastruktur, Fortschritte beim Single European Sky und internationale Lösungen beim Klimaschutz für den Luftverkehr und Seeverkehr.

DVF-Präsidiumsvorsitzender Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner forderte, die Finanzmittel aus der europäischen Wiederaufbauunterstützung (Aufbau- und Resilienzfazilität) zusätzlich zu den nationalen Konjunkturprogrammen zu nutzen. Wenn die bereits im Bundeshaushalt eingestellten Projekte mit europäischen Mitteln nachträglich gegenfinanziert würden, gibt es keine zusätzlichen Impulse. Deutschland muss bis Anfang April 2021 die EU-Mittel beantragen.

Cem Özdemir MdB - Bildquelle: https://www.gruene-bundestag.de/abgeordnete/infos-zur-person/cem-özdemir

Wir brauchen jetzt massive Investitionen in Ausbau und Modernisierung des Schienennetzes, gerne auch als Teil eines breiten Klima-Konjunkturprogrammes zur Modernisierung des Standortes Deutschland. Gleichzeitig sollte der Bund die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 nutzen, um Innovationen in den Bereichen Digitalisierung, Automatisierung und Fahrzeugtechnik in der EU voranzutreiben.

Cem Özdemir MdB
Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur im Deutschen Bundestag, Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN

Europaweiter Schutz vor Bahnlärm

Für die Steigerung des Schienenverkehrs ist die Akzeptanz in der Bevölkerung entscheidend. Entsprechend investiert der Bund in Lärmsanierung und Lärmvorsorge. Mit der Bundesförderung so genannter leiser Bremsen hat die Bahnbranche ihre Güterwagen auf Flüsterbremsen umgerüstet. Mit einem Aufschlag für laute Wagen im Trassenpreissystem und der Erprobung innovativer Techniken zur Lärmvermeidung reizt der Bund die Lärmsenkung weiter an. Seit Ende 2020 sind laute Güterzüge auf deutschem Schienennetz verboten. Auch das DVF setzte sich dafür ein. Aus europäischer Sicht prescht Deutschland vor. Die EU-Kommission plant, erst ab Dezember 2024 laute Güterwagen auf den verkehrsreichsten Eisenbahnstrecken in Europa zu verbannen und hat Deutschland mit einem Vertragsverletzungsverfahren gedroht, sollte es sein Verbot bereits Ende 2020 umsetzen. Die Sanktionen werden nun im Jahr 2021 ausgesetzt. Haushaltsplan 2020 sind weitere Mittel in zweistelliger Millionenhöhe eingestellt.

Masterplan Binnenschifffahrt

Der durch den Corona-Lockdown ausgelöste Rückgang der Transportmengen erhöht den Modernisierungsdruck auch für das System Wasserstraße. Die Frage nach einer verlässlichen Finanzierung und einer effizienten Planung der Wasserstraßeninfrastruktur wird mit den knapper werdenden Haushaltsmitteln noch dringlicher. Auch auf EU-Ebene wird eine stärkere Verlagerung des Verkehrs auf das Binnenschiff im Rahmen des Green Deal diskutiert. Das DVF arbeitete im Beirat des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zur Umsetzung des Masterplans Binnenschifffahrt mit und brachte seine Expertise insbesondere bei den Themen Finanzierung, Planungs- und Baubeschleunigung, Digitalisierung und Einbindung der Binnenschifffahrt in die Logistikkette ein.

Die Reedereien müssen für die Modernisierung der Flotten ihren Beitrag leisten. Für die Verbesserung der Infrastruktur ist die Politik verantwortlich, etwa für die Schleusenmodernisierung. Dies ist auch für Industrieunternehmen sehr wichtig.

Bernd Reuther MdB
Sprecher der Parlamentarischen Gruppe Binnenschifffahrt (PGBi) im Deutschen Bundestag, Fraktion der Freien Demokraten

Bernd Reuther MdB - Bildquelle: https://www.bundestag.de/abgeordnete/biografien/R/522906-522906

Einfuhrumsatzsteuer

Bei der Einfuhr von Gütern nach Deutschland verursacht das aktuell angewandte deutsche Verfahren zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer eine unnötige Bindung von Liquidität und damit erhöhte Kosten für Importeure, die in den EU-Nachbarstaaten nicht anfallen. Das DVF setzt sich deshalb für die Einführung eines Verrechnungsmodells für die Einfuhrumsatzsteuer ein. Das im Dezember 2020 eingeführte Fristenmodell ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber nur das Verrechnungsmodell setzt die Impulse, die notwendig sind, damit Logistikzentren sowie Niederlassungen von Dienstleistern und weiterverarbeitenden Unternehmen verstärkt in Deutschland und nicht im EU-Ausland angesiedelt werden. Mit dem Verrechnungsmodell können zudem Einnahmen der öffentlichen Hand und die ökologische Bilanz von Güterströmen verbessert werden.

Weltweite Luftfahrt in der Krise

Prozentualer Rückgang der verkauften Sitzplätze pro geflogenem Kilometer im November 2020*

Quelle: IATA | Handelsblatt
*Veränderung zum November 2019 in RPK